Projekt Sakkara
aller Götter und der Pharaonen. Der Überlieferung nach wandert Re auf der Sonnenbarke jede Nacht durch die Unterwelt, ebenso wie es die gestorbenen Pharaonen tun. Dieser Weg ist im Amduat beschrieben. Nun, jedenfalls trifft die Sonnenbarke mit Re auf die Personifikation des Urchaos, den Schlangengott Apophis. Apophis ist die einzige Macht, die Re gefährlich werden kann. Aber Seth, der am Bug der Sonnenbarke steht, besiegt die Schlange. Man könnte also sagen: Nur durch die Kraft Seths ist das sichere Geleit Res und der alltägliche Sonnenaufgang gewährleistet.«
»Okay, klingt ja doch nicht so übel.«
»Ganz genau.« Sie lehnte sich so weit zu ihm, dass sie nur noch halblaut sprechen musste. »Ich glaube auch, dass du eine ganz besondere Kraft hast. Du bist mehr, als du ahnst, Patrick.« Sie streckte eine Hand aus und strich behutsam über seine Wange. Für einen Augenblick schien alles um ihn herum zu verblassen. Geräusche, Farben, sogar das Licht verlor an Kraft. Er spürte ein heißes Prickeln dort, wo ihre Hand ihn berührte, roch wieder diesen Hauch von süßem, würzigem Holz, der ihr entströmte, der auf eine Weise rührselig altmodisch war und zugleich ein Versprechen zügelloser Leidenschaft malte. Er meinte, sich in ihren leuchtenden Augen spiegeln zu können, die ihn groß und offen ansahen. Es war ein inniger Blick, der ihn in eine ungeahnte Tiefe sog. Er spürte, wie er errötete. Ein hitziger Schauer lief ihm über die Kopfhaut, den Nacken und den Rücken hinunter.
Dann lehnte sie sich zurück, und die Zeit nahm ihren Takt wieder auf.
»Dein Essen wird kalt«, sagte sie lachend und nahm ihr eigenes Besteck ebenfalls in die Hand.
Patrick bemühte sich, seine Gedanken zu sortieren. Was in aller Welt lief hier schief? Egal welches Thema sie hatten, es gelang ihr, ihn jedes Mal nach kurzer Zeit in Verlegenheit zu bringen. Und es war mit Sicherheit nicht seine Art, sich so leicht aus der Fassung bringen zu lassen. Schon gar nicht von einer Frau, auf die eigentlich er zuerst ein Auge geworfen hatte, und die sich nun als schräge Esoterikerin herausstellte. Die Rollenverteilung am heutigen Abend entsprach ganz und gar nicht seinen Plänen. Er musste das Heft wieder in die Hand nehmen.
»Ich habe mich mit Peter über diesen Amerikaner unterhalten«, setzte er daher neu an. »Er hat da so ein paar Sachen angesprochen ... «
»Ja?«
»Diese Verschwörungsgeschichten, dass Funde verschwiegen werden, dass es geheime Kammern gibt und so weiter. Du hast gesagt, dass du diese Geschichten immer wieder hörst. Wie sehr kennst du dich damit aus?«
»Nur am Rande, ehrlich gesagt. Ich habe mit dem Studium dessen, was wir wirklich über Ägypten wissen, schon genug zu tun. Es ist so unsagbar viel, immerhin ist es eine Kultur, die eine fast zehnmal längere Geschichte hat als beispielsweise das Römische Reich. Ich arbeite für das Museum, und letzten Endes auch für Dr. Aziz ... «
»Den Chef der Altertümerverwaltung?«
»Richtig. Und deswegen muss ich solchen Spekulationen natürlich widersprechen. Aber diese ganzen verworrenen Ideen und Theorien sind so unüberschaubar, dass ich mich im Einzelnen gar nicht damit beschäftigen kann. Meistens bekommen wir am Museum dazu eine Art offizielle Stellungnahme, in der steht, wie wir auf solche Anfragen reagieren und welche Argumente wir verwenden sollen. Das ist dann aber meistens auch alles, was ich darüber weiß.«
»Ach so ... Schade.«
»Gibt es denn etwas, was euch besonders interessiert? Hat es mit eurem Projekt zu tun? Du hast mir nicht viel darüber erzählt.«
»Du hast recht. Es gibt aber auch noch nicht viel dazu zu sagen. Es geht um diesen Papyrus, den wir übersetzt haben. Peter ist der Meinung, dass er etwas mit Echnaton zu tun hat und mit dem Ursprung seiner ungewöhnlichen Gesinnung. In dem Dokument ist offenbar beschrieben, dass Echnaton in Berührung mit irgendeiner Quelle der Weisheit gekommen sei. Darüber soll er einen Bericht verfasst haben – und den suchen wir zurzeit.«
»Und ihr vermutet, dass man diesen Bericht vielleicht schon längst gefunden hat und der Öffentlichkeit unterschlägt?«
»Vielleicht, aber nicht unbedingt. Es wäre nur nützlich zu wissen, worüber so spekuliert wird. Manchmal steckt ja doch ein Körnchen Wahrheit drin. Wie in den Legenden um Troja. Wie sich herausstellte, gab es die Stadt tatsächlich.«
»Also könnte es auch die geheimen Gänge oder die berühmte »Kammer des Wissens‹ geben?«
»Keine
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