Projekt Sakkara
Jahren kamen sie noch dreimal: zweimal auf Bitten des Großwesirs, der Unterstützung im Kampf gegen die Syrer benötigte, und ein letztes Mal im Versuch, das Land zu erobern – was dann aber zu einem katastrophalen Ausgang führte. Bei jedem dieser Kreuzzüge hatten die Templer Gelegenheit, eine solche Stele mitzunehmen: entweder als Beute oder als Dank für ihre Dienste.«
Guardner nickte.
»Es wäre also geschichtlich nachvollziehbar«, fasste Peter zusammen, »dass das Objekt, das im Codex beschrieben wird, ägyptischen Ursprungs ist. Nun könnte es sicherlich viele Steintafeln mit einem ähnlichen Symbol geben. Was mich aber – und offenbar auch Ihren Vater – ganz besonders aufmerksam gemacht hat, ist die Tatsache, dass hier ausdrücklich von der Tabula Smaragdina gesprochen wird. Ich will Sie nicht mit Geschichten über dieses Objekt langweilen, vielleicht genügt es zu sagen, dass es in der Mystik ähnlich bekannt und berüchtigt ist wie der Stein der Weisen oder die sagenhafte Bundeslade der hebräischen und christlichen Überlieferung. Der Legende nach enthält die Tabula das vollständige, konzentrierte Wissen der Welt, zusammengefasst in Formeln der Weisheit. Man sagt, die Tafel sei aus Smaragd und der Text auf Phönizisch. Manche bringen sie mit den Gebotstafeln Moses' in Verbindung, andere behaupten, Alexander der Große habe die Tafel in Ägypten gefunden. Für uns von besonderer Bedeutung ist, dass als Verfasser der Tafel stets ein mythischer Hermes Trismegistos genannt wird.«
»Hermes, der Götterbote?«, fragte Patrick. »Der alte Grieche?«
»Ja und nein«, sagte Peter. »Hermes Trismegistos heißt zunächst nichts weiter als Dreifachgroßer Hermes. Hermes war der griechische Gott des Geistes, vielgestaltig, eloquent und erfindungsreich, und derjenige, der dem Austausch zwischen Göttern und Menschen diente und Werke über Theologie und Philosophie verfasste. Die Alchimisten und Okkultisten übernahmen später den Begriff ›hermetisch‹, um ihre Künste und Überlieferungen zu bezeichnen, und noch heute benutzen wir ›hermetisch‹ für etwas absolut Versiegeltes.«
»Und wieso ›nein‹?«
»Weil Hermes und alles, wofür er steht und was ihm in der Überlieferung zugeschrieben wird, aus heutiger Sicht gleichzusetzen ist mit einem viel älteren Gott, der lange vor den Griechen quasi der Prototyp von Hermes war. Nicht nur, dass viele der Attribute dieses Gottes offenbar während der Ptolemäerzeit in den griechischen Pantheon Eingang fanden. Auch hat man inzwischen viele ägyptische Texte gefunden, Weisheitslehren wie die des Ptahhotep und viele andere, die spätere Ansichten und Maximen bereits vorwegnehmen. Also gab es diese Inhalte offenbar schon vor den Griechen. Und aus diesem Grund schreibt man den Ursprung der Tabida Smaragdina, wenn es sie denn gegeben hat, viel eher Thot zu. Thot, jenem Gott der Schrift, Kultur und Weisheit, von dem Sir Guardner eine Statue auf seinem Schreibtisch stehen hat!«
»Ich gebe zu«, sagte Guardner, »das Manuskript, in dem eine Quelle der Weisheit genannt und beschrieben wird, passt sehr gut zu der Beschreibung und der Zeichnung im Papyrus meines Vaters. Aber Thot? Das ist doch eine vollkommen mystische Gestalt.«
»Nicht notwendigerweise. Wenn Hermes seinen Ursprung in Thot haben kann, ist es auch denkbar, dass die Figur Thots ebenfalls auf einen – uns noch unbekannten – Ursprung zurückgeht. Jedenfalls sollten wir Thot im Auge behalten, wenn wir schon auf der Suche nach einer Quelle des Wissens sind.«
»Na schön«, sagte Patrick, »aber wo finden wir jetzt die Stele?«
»Ja, das ist die Frage, nicht wahr? Ich glaube, das Rätsel lässt sich einfach lösen.« Peter beugte sich vor. »Es steht eigentlich sogar ausdrücklich im Text, wenn man nur den historischen Kontext genauer kennt.«
Patrick seufzte. Peter schien es wieder einmal besonders spannend und langatmig machen zu wollen.
»Das Dokument spricht von einem Konzil in Poitiers im Jahr 1307«, erklärte Peter. »Dieses Treffen ist geschichtlich verbürgt. Damals trafen sich der Großmeister des Templerordens, Jacques de Molay, und der Großmeister des Johanniterordens, Foulques de Villaret, mit dem Papst. Es ging dabei unter anderem um die Frage, ob man nicht beide Orden vereinen sollte. Dazu muss man wissen, dass die beiden Orden seit ihrer Gründung miteinander rivalisierten. Beide hatten den Höhepunkt ihrer Macht knapp überschritten, waren sich aber noch immer nicht
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