Projekt Wintermond
man könnte in einer Dreiviertelstunde da sein.«
Sie brauchten nur eine halbe Stunde bis zur Kleinstadt Osaria, die inmitten bewaldeter Hänge stand. Die Dämmerung brach herein. Die Straße, die sie suchten, lag am Ortsausgang. Es war eine gewundene Bergstraße, an der moderne Villen standen. Rasch hatten sie Carusos Haus gefunden. Ein Kiesweg führte zu einer zweistöckigen Villa mit Garten, in dem Birnen- und Olivenbäume standen. Die Garage rechts neben dem Haus war verschlossen. In der Einfahrt stand ein weißer Lancia.
»Mal sehen, ob jemand zu Hause ist.« McCaul stieg aus und ging mit Jennifer zur Haustür. Er klingelte ein Dutzend Mal. Da niemand reagierte, drückte McCaul kurz entschlossen die Klinke herunter. Die Tür war nicht verschlossen. Er stieß sie auf und rief: »Niemand zu Hause?«
Keine Antwort. McCaul und Jennifer betraten den kleinen Eingangsflur. McCaul öffnete eine Tür zur Linken, die ins große Wohnzimmer führte, das einen wunderschönen Blick aufs Dorf gewährte.
»Kommen Sie, Jennifer. Sehen wir in den anderen Zimmern nach.« Sie kehrten in die Diele zurück und öffneten eine andere Tür. Als sie den Raum betraten, erstarrte Jennifer. In der Küche herrschte das nackte Chaos. Die Stühle waren umgestoßen; der Boden war mit zerbrochenem Geschirr übersät.
Inmitten einer Blutlache lag eine Leiche. Es war die dunkelhaarige Frau mittleren Alters, die Jennifer auf dem Foto auf Carusos Schreibtisch gesehen hatte. Eine Kugel hatte ihren Schädel zertrümmert. Ihre toten Augen starrten an die Decke. Überall war Blut.
Jennifer beobachtete entsetzt, wie McCaul sich neben die Frau kniete und deren Handgelenk umfasste. Nach wenigen Augenblicken stand er auf. »Der Körper ist noch warm. Lange kann sie noch nicht tot sein, und…« Er verstummte, als er sah, dass Jennifer schwankte. »Kommen Sie, setzen Sie sich.«
Jennifer stand unter Schock. McCaul legte ihr einen Arm um die Schultern und führte sie zur Couch im Wohnzimmer. Er blickte sich kurz um, ging zur Bar neben dem Fenster und schenkte Jennifer einen Weinbrand ein.
»Trinken Sie.«
Jennifer nippte am Glas, bekam aber keinen Schluck herunter. »Wenn mir nur jemand erklären würde, was hier geschieht!«, stieß sie verzweifelt hervor. »Ich habe langsam das Gefühl, den Verstand zu verlieren.« Verzweifelt blickte sie McCaul an, doch auch er konnte ihre Fragen nicht beantworten. Jennifer stellte das Glas auf den Tisch.
»Was . was ist mit Caruso?«
McCaul ging zur Tür. »Bleiben Sie hier. Rühren Sie sich nicht von der Stelle, und fassen Sie nichts an.«
Jennifer stand auf. Sie zitterte wie Espenlaub. »Ich begleite Sie lieber.«
Sie durchsuchten die oberen Zimmer, fanden aber keine Spur von Caruso. In den Schlafzimmern herrschte Ordnung. Niemand hatte Schränke und Schubladen aufgerissen und durchwühlt. McCaul hatte sich im Badezimmer ein Paar Gummihandschuhe besorgt und sie übergestreift. Noch einmal bat er Jennifer, nichts anzurühren.
»Die Polizei wird das ganze Haus nach Fingerabdrücken absuchen«, sagte er. »Sie tun sich keinen Gefallen, wenn Sie überall Ihre Abdrücke hinterlassen.«
Carusos Arbeitszimmer befand sich im hinteren Teil des Hauses. Auf dem Schreibtisch lag seine Aktentasche. McCaul öffnete sie und überprüfte den Inhalt. »Nichts. Wir haben kein Glück.«
»Ist die Mappe verschwunden?«
»Entweder hat Caruso sie woanders hingelegt, oder jemand war vor uns hier. Sehen Sie selbst.«
McCaul hielt ihr die geöffnete Aktentasche hin. Sie enthielt ein paar Unterlagen, aber die rote Mappe war verschwunden.
»Wo Caruso wohl steckt?«, fragte McCaul sich laut, als er die Aktentasche zurück auf den Schreibtisch legte und in den Schubladen wühlte. Doch außer ein paar neuen Schreibblöcken, Rechnungen und Quittungen fand er nichts. Die letzte Schublade war verschlossen. McCaul nahm einen stabilen Brieföffner aus einer anderen Schublade und brach das Schloss auf. In der Schublade lag eine Pistole, eine .22er Beretta, die mitunter für Schießübungen benutzt wurde. McCaul überprüfte, ob sie geladen war, und steckte sie in die Tasche.
»Was haben Sie vor?«, fragte Jennifer.
Auf McCauls Gesicht schimmerten Schweißperlen.
»Was glauben Sie wohl? Ich bin gern auf alles vorbereitet, Jennifer. Das Chaos unten im Haus sieht mir nicht nach einem Ehekrach aus. Kommen Sie.«
Sie stiegen die Treppe zur Küche hinunter, betraten den Hof und entdeckten die Tür, die in die Garage führte. McCaul
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