Projekt Wintermond
zitterte noch immer. Als sie sich an das Blutbad in der Villa erinnerte, schoss ihr ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf: Diejenigen, die Caruso und seine Frau ermordet hatten, könnten auch für den Mord an ihrer Mutter verantwortlich sein. Der alte Schmerz und die alte Angst stürmten wieder auf sie ein. Jennifer stieg aus und setzte sich zu McCaul auf eine der Bänke. »Ich hatte schon mit verflixt heiklen Fällen zu tun, aber der hier ist die absolute Krönung«, sagte er.
»Warum… warum wurde Caruso ermordet?«
McCaul hob den Blick. »Das kann nur einen Grund haben. Es geht dem Täter darum, die Ermittlungen in diesem Fall zu stoppen. Zuerst wurde der Leichnam in der Karabinieri-Zentrale vernichtet. Jetzt sind auch noch die Unterlagen verschwunden, und der ermittelnde Kommissar wird ermordet. Irgendjemand versucht mit allen Mitteln, die Nachforschungen zu vereiteln.
Und wie wir gesehen haben, geht er dafür über Leichen.«
McCauls Theorie leuchtete Jennifer ein. Einen anderen Grund konnte es nicht geben. Dabei war ihr vollkommen schleierhaft, wem daran gelegen sein könnte, die Ermittlungen zu sabotieren. »Was könnte der Grund sein?«
»Gute Frage. Die Antwort muss in der Vergangenheit Ihres Vaters zu finden sein. Alle Spuren führen zu ihm. Niemand begeht grundlos einen Mord. Es gibt immer ein Motiv. In der Vergangenheit Ihres Vaters – oder Ihrer Mutter – muss es etwas geben, was uns auf die richtige Spur führt.«
»Was möchten Sie wissen?«
»Alles, Jennifer. Alles, an das Sie sich erinnern können.«
Jennifer erzählte McCaul alles über die Nacht, als der maskierte Mörder in ihr Elternhaus eingedrungen war, und über ihr Leben vor und nach dem Mord. Als sie verstummte, strich McCaul ihr über die Hand. »Sie haben Schlimmes durchgemacht.«
»Das Blutbad in Carusos Haus hat die alten Wunden wieder aufbrechen lassen.«
»Was wissen Sie über die Firma, in der Ihr Vater gearbeitet hat?«
»Nicht viel, nur dass das Unternehmen im Investmentgeschäft tätig war. Mein Vater sprach nicht oft über seine Arbeit. Die Polizei hat damals seine Kollegen verhört. Ihnen war schleierhaft, warum mein Vater verschwunden war. Die polizeilichen Ermittlungen ergaben keinen Hinweis auf irgendwelche Probleme, die ihn hätten zwingen können, unterzutauchen.«
»Hat er Geschäftsreisen in die Schweiz oder nach Italien unternommen?«
»Oft. Er ist viel gereist.«
»Wie lange hat er bei Prime International gearbeitet?«
»Siebzehn Jahre.«
»Gibt es die Firma noch?«
»Nein. Sie hat im letzten Jahr dichtgemacht.«
»Warum?«
»Weiß ich nicht.«
McCaul dachte darüber nach. »Die Gegenstände, die Sie von diesem Joseph Delgado auf dem Speicher gefunden haben… wo könnten die hingekommen sein?«
»Das weiß ich nicht.«
»Könnte Ihr Vater die Unterlagen irgendwo versteckt haben?«
»Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht. Damals passierte so vieles in meinem Leben, das mir wichtiger erschien. Und nach dem Tod meiner Mutter musste ich mich um Bobby kümmern.«
»Was ist mit der Geldkassette, die Sie im Arbeitszimmer Ihres Vaters gesehen hatten? Könnte Ihr Vater diese Kassette versteckt haben? Vielleicht bei einer Bank, bei der er – oder Ihre Mutter – ein Schließfach hatte?«
Jennifer schüttelte den Kopf. »Meinen Sie, die Sachen auf dem Speicher oder die Kassette könnten etwas mit dem Verschwinden meines Vaters zu tun haben?«
»Keine Ahnung. Vielleicht klammere ich mich an einen Strohhalm, aber wir brauchen eine Spur, die uns hilft, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen. Denken Sie nach.«
»Ich weiß nicht, ob mein Vater ein besonderes Versteck hatte«, erwiderte Jennifer. »Wenn, dann hat er nicht mit mir darüber gesprochen.«
McCaul seufzte tief. »Wir kommen einfach nicht weiter.
Fassen wir mal zusammen, was wir wissen. Jemand ist mit dem Reisepass Ihres Vaters auf den Gletscher gestiegen. Ob er die Grenze illegal passieren wollte oder nicht, wissen wir nicht.
Möglich wäre es jedenfalls. Entweder wurde er von einem Schneesturm überrascht und ist in die Gletscherspalte gestürzt, oder er wurde – wie Caruso vermutete – von einem Komplizen in die Gletscherspalte gestoßen. Dieser Begleiter hat dann den Reisepass beim Leichnam zurückgelassen. In einem Punkt hatte Caruso bestimmt Recht. Falls Ihr Vater vor den Behörden auf der Flucht war, wollte er auf keinen Fall, dass in seinem Besitz ein Dokument gefunden wird, das seine Identität beweist.«
Jennifer stieg
Weitere Kostenlose Bücher