Promenadendeck
verließ Dabrowski am Arm von Beate den Saal und ließ sich zur Juwelenboutique führen. Erika Treibel saß allein hinter der kleinen Theke auf einem Hocker und studierte einen Berg Schmuck-Fachbücher und Verbandsblätter. Sie sollte in den nächsten Tagen im Bordfernsehen, nach den täglichen Nachrichten, einen Vortrag über die verschiedenen Edelsteine halten und die Passagiere einladen, sich einmal in der Boutique umzusehen. Der Einkauf von Schmuck war hier mindestens vierzehn Prozent billiger als an Land, denn auf dem Schiff fiel die Mehrwertsteuer weg. Ein paar zusätzliche Prozente konnte man auch noch herunterhandeln; zwar waren sie von vornherein einkalkuliert worden, aber es machte jedem Spaß, bei einigen tausend Mark ein paar Hunderter wegzufeilschen.
Dabrowski setzte sich auf den rotgepolsterten Stuhl und stützte sich auf seinen weißen Stock.
»Ich vermute jetzt, daß Carducci einen Komplizen hat«, sagte er.
»O Gott!« Erika Treibel wurde blaß. »Mit zwei Mann …«
»Keine Angst! Sie werden in keinem Fall überfallen werden. Carducci arbeitet lautlos, wie ein Phantom. Der zweite Mann könnte sogar eine Frau sein. Wenn also ein Ehepaar oder ein Mann oder eine Frau allein hier hereinkommt mit dem Wunsch, die wertvollsten Stücke aus dem Tresor zu sehen, dann versuchen Sie die Kabinennummer zu erfahren. Locken Sie die Nummer mit einem Trick heraus. Das ist ganz einfach. Sagen Sie, daß Sie noch ein paar außergewöhnliche Stücke im Lager hätten und anrufen wollten, sobald Sie den Schmuck heraufgeholt haben. Wenn der Betreffende seine Zimmernummer nicht preisgeben will, dann ist das schon ein Verdachtspunkt.« Dabrowski räusperte sich. »Was ist denn eine Ihrer wertvollsten Garnituren, die Sie nicht ins Fenster stellen?«
»Ein Smaragdset mit Brillanten. Wert 450.000 Mark.«
»Du lieber Himmel! Das wird hier gekauft?«
»In der Zeit, die ich an Bord bin, ist das erst einmal passiert. Aber wir müssen solche Stücke immer vorrätig haben, sozusagen zu Repräsentationszwecken. Es kommt gelegentlich auch vor, daß sich Interessenten so ein Schmuckstück ansehen, es bestellen und sich dann an Land liefern lassen. So kann man Änderungen berücksichtigen, auf Maß arbeiten lassen …«
»Ich möchte das Smaragdset für heute abend ausleihen«, sagte Dabrowski ruhig.
»Unmöglich!« Sie sah ihn entsetzt an.
»Ich bin nicht Carducci.«
»Das weiß ich. Trotzdem … ohne Genehmigung vom Chef … wie soll ich jetzt Herrn Ried erreichen?«
»Ich habe von Herrn Ried alle Vollmachten.«
»Das sagen Sie! Ich kann Ihnen doch mein wertvollstes Set nicht leihen.«
»Beate soll es heute abend tragen und Carducci aufmerksam machen. Am Schluß des Balls nehme ich es an mich und schlafe darauf. Morgen früh haben Sie es wieder im Tresor. Es kann gar nichts schiefgehen. Erika, ich brauche ein auffälliges Lockmittel. Jeder im Saal wird denken: Sieh mal an, dieser alte Lustmolch. Ist stockblind, aber alles andere klappt noch. Läßt sich von seiner Pflegerin rundum betreuen und kauft ihr dicke Klunker dafür.«
»Daß mir das unangenehm sein könnte, daran denken Sie wohl nicht, Chef?« fragte Beate sauer.
»Beatchen, jonglieren Sie nicht mit der Moral!«
»Ich bin aber moralisch. Bei diesem Theater werde ich mich in Grund und Boden schämen.«
»Auch das geht vorbei.« Dabrowski lachte leise. »Das halbe Leben ist eine Sache der Gewöhnung. Erika, lüften Sie den Tresor und geben Sie das Smaragdset raus.«
»Ich weiß nicht …«
»Kindchen, wir sind auf hoher See. Was kann denn passieren? Auch Carducci wird warten; er schlägt meistens erst einen oder zwei Tage vor Ende der Reise zu. Am liebsten nach dem Abschieds-Galadinner. Da sind noch einmal alle Millionen auf gepuderter Frauenhaut. Heute abend ist für ihn so eine Art Generalprobe.«
Zehn Minuten später verließ Beate mit 450.000 Mark Juwelen in der Rocktasche die Schmuckboutique.
Um es vorweg zu sagen: Es wurde eine herbe Enttäuschung.
Beim Willkommensball nach dem Galaessen forderte niemand die strahlend schöne Beate zum Tanzen auf. Jeder respektierte die Hilflosigkeit des Blinden, dessen Begleiterin man nicht entführen wollte, und sei's auch nur für drei Tänze. Selbst Paolo Carducci hielt sich zurück; aus der Ferne begutachtete er den Schmuck um Beates Hals, an ihrem Arm, am Finger und an den Ohren und schätzte den Wert fachmännisch richtig ein. Er saß am Nebentisch der beiden Homosexuellen van Bonnerveen und Grashorn, trug
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