Prophetengift: Roman
mailte sie den Brief ihrer PR-Agentur, damit sie ihn als Massen-E-Mail unter die Leute brachte.
Die Story kam kurz vor Mittag überall in den Nachrichten und im Internet.
Sebastian, der mit Reed und Chuck auf dem Weg nach Norden war, um Libby und Tess zu besuchen, war zutiefst getroffen von der Nachricht. Er hatte gerade den Entschluss gefasst, sich sofort nach seiner Rückkehr bei Amber zu entschuldigen und sie wissen zu lassen, dass er mittlerweile bereit war alles zu tun, was notwendig war, um die Dinge in Ordnung zu bringen.
Doch jetzt würde er nie mehr Gelegenheit dazu haben.
Zwei Tage später erhielt Kitty einen Brief. Er war von Amber. Sie las ihn leidenschaftslos durch, schlurfte zum Kamin im Wohnzimmer
und setzte ihn mit ihrem Feuerzeug in Brand. Da die Sonne den Morgennebel noch nicht aufgelöst hatte, nutzte sie das brennende Papier, um ein gemütliches Feuer zu entfachen.
Sie starrte mit leeren Augen auf den brennenden Brief unter den unechten Scheiten, bis er sich zu einem schwärzlichen Ascheblatt kräuselte. Dann ging sie zu Bar und mixte sich einen großen, sehr starken Martini.
Als sie den ersten Schluck trank, dachte sie: Ich wünschte, ich hätte das vorher gewusst.
Das ändert alles.
47
Heiligabend
Es war fast Mittag, und Olivier spielte mit seinem Laptop herum, als drei Mails hereinkamen, die ihn auf Ambers Selbstmord aufmerksam machten.
Er schaltete den Fernseher an und zappte sich durch die Nachrichtenkanäle.
Die Story wurde von jedem Sender gebracht, sogar den New Yorker Sendern.
Sie hat’s getan. Sie hat es tatsächlich getan.
Vor fast drei Monaten – nur Tage nach dem Bootsunglück im September – war er nach San Francisco gefahren, um Amber im Krankenhaus zu besuchen. Es gelang ihm, die Krankenschwestern und die Polizistin, die vor Ambers Tür Wache stand, davon zu überzeugen, dass er ihr Pastor sei und gekommen war, um ihr geistlichen Trost zu spenden.
Mit der Bibel in der Hand hatte er seine Taschen geleert, er wurde mit einem Metalldetektor untersucht und dann erlaubte man ihm das Zimmer zu betreten. Die Polizistin blieb draußen vor der offenen Tür stehen.
Ambers Zustand schockierte ihn.
Das lodernde Bootswrack hatte einen erheblichen Teil ihres
Kopfes verbrannt, und so lag sie auf den Kissen aufgestützt, das Gesicht fast verborgen unter Verbänden. Sichtbar waren nur die Augenlider, die unter der weißen Gazeschicht hervorquollen, und ihr Mund.
»Amber?«, flüsterte er und streichelte ihr Handgelenk, das in Handschellen steckte. »Amber, ich bin’s, Olivier. Es hat mir so leidgetan, als ich von Ihren Verletzungen erfuhr und von dem höchsten Opfer, das Ihr Mann für Gott gebracht hat. Ich bin gekommen, sobald ich konnte.«
Sie öffnete ein Auge, schaute ihn an und schloss es wieder. »Sie meinen wohl«, flüsterte sie, »Sie bedauern, dass Sebastian noch am Leben ist. Was wollen Sie?«
»Ich bringe eine wichtige Botschaft von Gott dem Herrn«, sagte Olivier, trat vorsichtig rückwärts zu dem Stuhl, der an ihrem Bett stand, und setzte sich. »Er verlangt ein letztes Opfer von Ihnen. Ich weiß, es ist sehr viel, was Gott da von Ihnen verlangt, aber es gibt noch etwas von ungeheurer Bedeutung, das getan werden muss.«
»Sind Sie verrückt?« Amber sprach undeutlich. »Mein Mann ist tot, ich bin gerade gegrillt worden, nicht einmal meine Hände kann ich bewegen, weil man mir Handschellen angelegt hat – und übrigens, von diesem Hugo-Boss-Rasierwasser, das Sie tragen, wird mir ganz schlecht.«
»Aber diese Prüfung, wie alle Prüfungen, die Gott uns auferlegt, ist nur vorübergehend«, teilte Olivier ihr mit. »Sie werden wieder gesunden und aus dem Krankenhaus entlassen werden, der Herr hat es mir gezeigt ...«
»Um ins Gefängnis gesteckt zu werden«, murmelte Amber.
»Gottes Werk kennt keine Grenzen und keine Gefängnismauern«, fuhr Olivier fort, »denn die Endzeit ist nahe, und ich hatte eine Vision von einem Lamm mit einem Fell so weiß wie Schnee, das auf dem goldenen Altar Gottes lag. Aus der Heiligen Schrift wissen wir, dass mit dem Opfer dieses weißen Lamms
der Heilige Krieg zwischen Gott und Satan beginnen wird. Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass Sie, liebe Amber, auserwählt sind, dieses Lamm zu sein. Ihr höchstes Opfer wird Gottes heilige Kanonen entzünden und damit den großen Krieg auslösen, auf den die Menschheit so lange gewartet hat.«
Sie sahen einander an und das Schweigen vertiefte sich.
»Dyson hat mir doch
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