Prophetengift: Roman
später – im Gasthof hingen die köstlichen Aromen von knusprig gebratenem Truthahn, backenden Pasteten,
dampfendem Gemüse und blubbernden Saucen – nahmen Sebastian, Reed, Tess, Chuck und Libby an dem alten Ahorn-Esstisch im Speisezimmer Platz, während Tess mit der Inbrunst einer erfahrenen Truck-Stop-Kellnerin zwischen Küche und Speisezimmer hin und her lief.
»Dürfte ich bitte mal die Sauce haben?«, fragte Reed Libby.
»Aber natürlich, Liebes.« Libby griff nach der schweren Sauciere, die vor ihrem Teller stand, und reichte sie Chuck, der sie an Reed weitergab.
»Vielen Dank«, sagte Reed.
»Du brauchst nicht so formell zu sein«, sagte Libby zu Reed.
»Ich glaube, sie hat ein bisschen Angst vor euch beiden«, warf Sebastian ein. »Ich habe ihr nämlich erzählt, wie ihr mich in die Mangel genommen habt, als ich zum ersten Mal herkam.«
»Oh, sie hat nichts zu befürchten«, versicherte Tess, die gerade aus der Küche kam, eine dampfende Schüssel Risotto in der Hand, »solange sie nicht behauptet die Jungfrau Maria zu sein oder die Reinkarnation von Natalie Wood oder irgend so einen Blödsinn.«
Sebastian lachte anerkennend.
Tess grinste ihn an. »Wie sind die Süßkartoffeln?«
»Superlecker.« Sebastian schaute Libby an. »Ist dir immer noch übel?«
»Danke der Nachfrage, aber lasst uns lieber von angenehmeren Dingen sprechen.« Libby wandte sich an Chuck. »Mr Niesen, ich bin froh, dass Sie ebenfalls kommen konnten. Wir haben schon so viel Gutes über Sie gehört.«
»Also, wer ist denn jetzt formell?« Chuck lachte. »Nennen Sie mich Chuck, und danke für die Einladung. Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal etwas anderes gegessen habe als Spaghetti mit Fleischklößchen.« Er strahlte alle an und schlürfte seinen Kaffee.
»He, wie geht es Ramon und Maggie?«, fragte Sebastian und säbelte an seinem Truthahnbraten.
»Ramon scheint endlich etwas über Mateos Tod hinwegzukommen, nachdem diese jungen Kriminellen gefasst wurden«, antwortete Tess, zog sich einen Stuhl heraus und ließ sich mit einem erleichterten Grunzen darauf niedersinken. »Und ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ihm die erstaunlichen Worte geholfen haben, die Mateo ihm im Krankenhaus übermitteln ließ. Sie haben ihm Frieden gegeben.«
»Diese Worte haben uns allen Frieden gegeben«, bemerkte Libby und warf Sebastian einen wissenden Blick zu.
»Was ist mit Maggie?«, fragte Reed. »Wie macht sie sich?«
»Ironischerweise scheint ihr Zustand sich etwas verbessert zu haben«, erwiderte Libby. »Ich weiß nicht, ob es der Schock wegen Mateo war ...«
»Oder göttliches Eingreifen«, warf Tess ein.
Libby schaute sie mit erhobenen Augenbrauen an und wandte sich wieder an Reed. »Jedenfalls, Maggie hat angefangen, sich an kleine Details von früher zu erinnern. Beispielsweise fiel ihr plötzlich wieder ein, dass Ramon früher in Tijuana an jedem Zahltag abends in die Kneipe ging und sie ihren Ältesten schicken musste, damit der seinen Vater da rausholte. Sie erinnert sich sogar daran, dass sie seinen Vorarbeiter überredet hat, ihr seinen Lohn zu geben und nicht ihm.«
Sebastian lachte. »Man würde nie denken, dass er mal so war, wenn man ihn heute sieht.«
»Die Torheiten der Jugend«, bemerkte Libby. »Wir haben alle schon Dinge getan, auf die wir nicht stolz sind.«
Tess und Libby tauschten einen wissenden Blick.
»Ist ihr bewusst, dass Mateo nicht mehr da ist?«, fragte Reed.
Tess schaute sie an. »Also das ist das wirklich Witzige dabei. Ramon sagt, er kann hören, wie Maggie sich mit Mateo unterhält,
ihn beim Namen nennt und einseitige Gespräche mit ihm führt, während sie durch Haus und Garten streift. Ohne Sebastian mit seinen Visionen hätte Ramon sicher einfach gedacht, dass seine Frau jetzt völlig den Verstand verloren hätte. Aber jetzt nennt er Mateo ihren Schutzengel, und er hat sein Zimmer genauso gelassen, wie es war ... sogar das Riesenposter von diesem umwerfenden Fußballspieler hängt noch an der Wand.«
Reed lächelte und dann genossen alle am Tisch einen ruhigen Moment glücklicher Konzentration auf das Festessen. »Tess«, fragte Reed, als sie schließlich ihr Besteck hinlegte, »was hast du eigentlich gemacht, bevor ihr hierhergekommen seid, du und Libby?«
»Ich war Bewährungshelferin für Jugendliche«, antwortete Tess. »Aber nachdem ich mitbekommen hatte, wie viele der schwulen und lesbischen Kids zusammengeschlagen wurden, habe ich eine eigene Agentur für
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