Prophetengift: Roman
schließlich konnte sie sich beruhigt im Wissen zurücklehnen, so kurz vor dem heiligsten Fest des Jahres alles getan zu haben, was in ihrer Macht stand, um die Dinge wieder in Ordnung zu bringen.
Dann lud sie Amber per E-Mail zum Essen ein – sie schlug
das »Ivy« in Beverly Hills vor. »Das Ivy ist berühmt für seine köstlichen Salate«, bemerkte Kitty in ihrer Voicemail, »und zu dieser Jahreszeit ist ein Tisch auf der Terrasse einfach perfekt – selbstredend unter einem munter glühenden Heizpilz!« Sie malte sich aus, wie sie in ihrem Bentley Continental am Hoteleingang vorfuhr, der ständig von Paparazzi umlagert war, in Begleitung der entstellten, aber – dank Kitty – elegant gekleideten Amber, ganz die gnädige gute Freundin, die keine Angst hatte, sich mit der Kriminellen sehen zu lassen, die wild entschlossen gewesen war, ihren Sohn zu ermorden. Kitty würde sich nonchalant edelmütig präsentieren und die Blogger würden sie in den Cyber-Heiligenstand erheben.
Fast augenblicklich erhielt sie eine Antwort von Ambers Anwalt – nicht von Amber selbst –, eine höfliche Ablehnung der Einladung aufgrund der beiden noch schwebenden Verfahren.
Trotz dieser Brüskierung war Kitty glänzend aufgelegt. Die restlichen Stunden des Nachmittags verbrachte sie mit dem Verfassen eines Essays mit dem Titel »Vergeben und Vergessen ist Geben und Erhalten«, den sie auf Sebastians Website stellte und von der PR-Agentur, die sie beauftragt hatte, als Massen-E-Mail versenden ließ, um dann ihre PR-Frau die Today Show mit der Anfrage kontakten zu lassen, ob vielleicht Interesse bestünde, sie einzuladen.
Ihre Lieblingsabsätze aus dem Essay waren folgende:
Als Sebastians Vater versuchte, den Ruf meines Sohnes zu zerstören, indem er öffentlich seine eigene Identität enthüllte, ließ ein Urtrieb mich nach Rache oder »erzwungener Wiedergutmachung« streben, statt zu versuchen, seine Motivation zu verstehen. Ich habe einen Fehler begangen, als ich Leuten, die dem Vater meines Sohnes Schaden zufügen wollten, vertrauliche Informationen zukommen ließ, und ich räume freimütig ein, dass ich schuldig bin,
ein »Neandertaler«-Mittel zur Bestrafung dieses Mannes gewählt zu haben ...
Und:
Wenn wir den Menschen vorgeben, die uns Unrecht zugefügt haben, und dann vergessen, was sie getan haben, sind wir fähig, diesen Menschen zu geben, was sie gerade brauchen, und das wiederum führt dazu, dass wir selbst erhalten, was wir die ganze Zeit gebraucht haben, nämlich Sicherheit für die Menschen, die wir lieben. Um meinen Glauben an diese Philosophie zu illustrieren, habe ich der Frau, die (mutmaßlich) versucht hat, meinen Sohn und dessen Vater zu ermorden, die Hand entgegengestreckt. Ich habe ihre Kaution bezahlt, ihr einen Anwalt besorgt, die Beerdigungskosten ihres Mannes übernommen und ihr sogar eine Therapeutin gesucht, die auf Sekten spezialisiert ist, und sie schließlich noch in ein Restaurant in Beverley Hills eingeladen. Leider hat sie meine Einladung abgelehnt, aber ich bin sicher, irgendwann wird sie begreifen, dass wir immer noch gute Freundinnen werden können ...
Am folgenden Tag, Heiligabend, erhielt Kitty einen panischen Anruf von ihrem Anwalt, der ihr mitteilte, das Manifest, das sie ins Internet gestellt habe, sei als Schuldeingeständnis zu werten, denn jetzt könne sie nicht mehr behaupten, vorher nichts von Ambers Absicht gewusst zu haben, Sebastian und Chuck körperlichen Schaden zuzufügen. Und gerade hatte sie dieses äußerst angespannte Telefonat mit Larry beendet, als Ambers Anwalt anrief.
»Kitty? Sie werden es nicht glauben.«
Sie nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette. »Mittlerweile
gibt es nichts mehr, das ich nicht glauben würde.«
»Sitzen Sie?«
»Spielt das wirklich eine Rolle?«
»Meine Mandantin hat sich gerade umgebracht. Man hat ihre Leiche in ihrer Wohnung gefunden. Auf dem Nachttisch standen vier leere Fläschchen Visine-Augentropfen und ein großer Jamba-Saft-Becher. Sie hat einen weitschweifigen Abschiedsbrief für die Polizei hinterlassen. Die Ausdrücke, mit denen Amber Sie darin bedenkt, sind ausgesprochen anschaulich, aber sie hat Sie nicht belastet.«
Kitty zeigte sich angemessen schockiert, entsetzt und tieftraurig und tat ihr Bestes, die tiefe Erleichterung zu verbergen, die sie überkam.
Nach Beendigung des Telefonats tippte Kitty einen weiteren Brief, in dem sie Ambers Familie und ihren Freunden ihr tiefstes Beileid ausdrückte, und dann
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