Prophetengift: Roman
Tag wurde es ein wenig früher dunkel, und die Nachmittage waren nicht länger milde, sondern es zog Nebel vom Pazifik auf, der das Penthouse jeden Abend in dichte graue Schwaden hüllte.
Dann war Thanksgiving vorbei, und Reed und Sebastian planten, in den Weihnachtsferien nach Big Sur zu fahren – Tess hatte Sebastian auf Libbys zunehmenden Kräfteverfall aufmerksam gemacht. Er brannte darauf, das Paar zu unterstützen,
so gut er konnte, und er wollte, dass Reed das Vergnügen hatte, beide Frauen kennenzulernen, und auch Ramon und Maggie, solange noch Gelegenheit dazu war.
Aber was sollte aus seiner Religionsgemeinschaft werden? Kitty als seine Pressesprecherin erklärte seine Absage aller Evo-Love-Veranstaltungen mit den Verletzungen, die er bei dem mutmaßlichen Mordversuch davongetragen hatte, und Sebastian war zufrieden mit seinem verlängerten Urlaub. Und anfangs ging auch alles gut, weil das Bootsunglück ihm erhebliche Sympathien eingetragen hatte. Doch als aus Wochen Monate wurden und Sebastian alle öffentlichen Auftritte oder Interviews vermied, während die Presse wenig Schmeichelhaftes über Kitty zu berichten wusste und Chuck zunehmend als der herumstümpernde Ex-Knacki entlarvt wurde, der er war, versiegte der übliche Strom von Spenden zu einem bloßen Rinnsal.
»Wir haben endlich ein Angebot für das Haus in Rancho Mirage«, teilte Kitty Sebastian eines Nachmittags mit. »Es ist lachhaft niedrig und die verdammte Maklerin kriegt mit ihrer Courtage mehr als wir, aber zumindest muss ich dann nicht mehr jeden Monat diese Schecks ausschreiben.« Sie sah ihn finster an. »Würde es dich umbringen, endlich mal in der Today Show aufzutreten? Oder findest du es aufregend, dass wir auf dem besten Weg ins Armenhaus sind?«
Aber Sebastian verweigerte seine Mithilfe. Und das machte Kitty extrem nervös – insbesondere da ihre Anwaltshonorare ständig weiter stiegen wie auf einem laufenden Taxameter und niemand außer ihr versuchte der finanziellen Talfahrt Einhalt zu gebieten.
Aber wie sollte sie es anfangen?
Kitty, stets eine brennende Zigarette in der Hand, grübelte stundenlang darüber nach, wie sie ihren befleckten Namen wieder reinwaschen könnte, denn eins wusste sie: Wenn es ihr gelang, ihren guten Ruf wiederherzustellen, bestand eine Chance,
dass Evo-Love erneut florierte – das heißt, sofern es ihr gelang, ihren Sohn zu motivieren.
Sie setzte bei dem abgenutzten, aber zutreffenden Spruch an: So etwas wie schlechte Publicity gibt es nicht. Und da Kitty wusste, dass »Sünde plus Erlösung plus Vergebung gleich Cash« die Formel für profitable Verkündung war, dachte sie sich, dass es doch irgendeine Möglichkeit geben müsste, ihren bevorstehenden Prozess in eine Chance für Profit umzuwenden. Andere Promis waren schließlich auch wegen häuslicher Gewalt, Alkohol am Steuer oder sogar Versicherungsbetrug festgenommen worden und hatten nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis eine eigene Produktlinie überteuerter Parfüms, nutzloser technischer Spielereien oder schicker Haushaltswaren lanciert.
Kitty fasste den Entschluss, zunächst mit ihrer Version der Geschehnisse, die zu dem Überfall auf Sebastian und Chuck geführt hatten, an die Öffentlichkeit zu gehen, tiefe Reue für ihre Handlungen zu bekunden und schließlich ihre eigene Version gottgleicher Vergebung zu demonstrieren.
Und sie wusste genau, welche arme Seele dringend der öffentlichen Absolution bedurfte.
46
Dezember
Vergebung ...
Da der Vertragsabschluss für das Rancho-Mirage-Haus kurz bevorstand und bald Weihnachten sein würde, empfand Kitty es als passende Geste, die Haftkaution für Amber zu bezahlen. Sie übernahm auch Dysons ausstehende Beerdigungskosten, denn die Überführung seiner Leiche nach Los Angeles war horrende teuer gewesen. Dann überredete sie Larry, einen ordentlichen Anwalt zu suchen, der Ambers Verteidigung übernehmen würde, sogar für Kittys rasch schrumpfendes Budget. Schließlich engagierte sie für Amber noch eine Therapeutin, die auf die Behandlung von Sektenaussteigern spezialisiert war.
Unmittelbar nachdem Amber gegen Kaution freigelassen worden war, rief die Therapeutin sie an und meldete sich dann bei Kitty mit der Einschätzung, die Klientin stehe einer Therapie »total ablehnend« gegenüber. Die Therapeutin lehnte höflich die Chance ab, mit Amber zu arbeiten, deutete aber an, dass Kitty selbst vielleicht von ein paar Einzelstunden profitieren könne.
Kitty lehnte ab,
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