Prophetengift: Roman
Wohngruppen gegründet.« Sie schwenkte ihr Weinglas, bevor sie anmutig an ihrem Pinot Noir nippte. »Manchmal fehlt es mir ... die Geschäftigkeit, die Hektik und dass ich diesen verzweifelten Jugendlichen helfen konnte ihr Leben wieder auf die Reihe zu kriegen. Ich überlege, ob ich so etwas nicht noch mal aufziehen sollte, aber dazu müsste ich von hier wegziehen – hier ist es zu abgelegen.«
»Aber es ist so schön hier«, sagte Reed und schaute sich im Raum um. »Ich könnte mir nicht vorstellen, je von hier wegzuwollen, wenn ich hier wohnen würde.«
Und Sebastian stimmte ihr zu, obwohl er nichts sagte. Hinter der Fensterfront lag das ruhige, mondbeschienene Meer und das flackernde Feuer im Kamin warf goldene Schatten auf die Ohrensessel und Polstersofas. Der ganze Raum schien die Gäste einzuladen zu verweilen, sich zu unterhalten, zu lesen oder zu dösen.
»Wir haben einige wundervolle Momente hier gehabt. Nicht wahr?« Tess schaute Libby an und Libby erwiderte ihr warmes
Lächeln.
»Warum habt ihr euch Big Sur ausgesucht?«, fragte Sebastian. »Das Essen ist übrigens superlecker.«
Tess lächelte und Libby betupfte sich den Mund mit ihrer Serviette. »Ich hatte das Glück, eine Dozentenstelle für Gruppentherapie in Esalen zu bekommen, das ist hier ganz in der Nähe. Tess ist am Wochenende immer von L.A. hochgefahren, um mich zu besuchen, und wir haben uns beide in die Küste und die Redwoods verliebt – sogar die Überbleibsel der Hippie-Kultur gefielen uns.« Sie trank einen raschen Schluck Wein. »Während dieser Zeit kam mir die Idee zu einem Ratgeber besonders für gleichgeschlechtliche Paare. Ich schrieb das Buch, es verkaufte sich, und Tess hat ihre Wohngruppen-Agentur geschlossen und wir sind hier hochgezogen, um das Hotel zu eröffnen.«
Sebastian spürte sein Handy in der Tasche vibrieren. Er zog es hervor und sah, dass Kitty anrief. »Ich muss rangehen«, verkündete er und schob seinen Stuhl zurück. »Ihr entschuldigt mich.« Rasch durchquerte er den Raum und ging zur Vordertür.
»Hallo Kitty«, sagte er und trat nach draußen.
»Wir haben uns mit Lukes Angehörigen auf einen Vergleich geeinigt«, erklärte Kitty tonlos. »Da du es mir überlassen hast, die Sache zu regeln, und das ausgerechnet an Heiligabend, habe ich es geregelt.«
»Okay.«
»Ich habe die Verträge bereits unterzeichnet. Es ist fast doppelt so viel, wie ich erwartet hätte, aber sonst hätten sie eine Zivilklage eingereicht, und das hätte einen Prozess mit Geschworenen und allem bedeutet.«
»Wie schon gesagt, es ist okay, Kitty.«
»Du hast ja nicht mal gefragt, wie hoch die Summe ist.«
»Also gut, wie hoch ist sie?«
Sie sagte es ihm.
»Das ist viel Geld.«
»Es ist alles, was wir noch haben. Aber Larry hat versichert, wenn es zum Prozess käme, könnte die Summe noch höher ausfallen – und dabei ist das Vermögen noch nicht mal eingerechnet, das ich ihm und seinem Team bereits an Anwaltshonoraren bezahlt habe, für diese Sache und für mein bevorstehendes Strafverfahren.«
»Und?«, fragte Sebastian.
»Das heißt, ich bin dabei, alles zu Geld zu machen, was wir besitzen: Wertpapiere, die Aktien, unsere Renten, die mageren Einnahmen aus dem Hausverkauf und sogar – wenn es sein muss – das Penthouse. Und das alles nur, weil du dich weigerst, deine bröckelnde Religionsgemeinschaft wieder aufleben zu lassen.«
»Nein. Es liegt an der karmischen Wiedergutmachung, die dich einholt.«
Kitty holte tief Luft. »Ich will, dass du mir sehr genau zuhörst: Du hast unglaubliche Gaben. Du hattest einmal eine blühende Religionsgemeinschaft. Und jetzt, aufgrund deiner egoistischen Weigerung, dich wieder an die Arbeit zu machen, wurde deine Mutter öffentlich gedemütigt und wird vermutlich bald obdachlos sein. Während du Hunderte von Meilen entfernt bist und doch der Einzige, der helfen kann – womit du gleichzeitig der Welt helfen würdest –, aber du weigerst dich.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Du könntest wieder nach Hause kommen«, sagte Kitty, »und wir stellen zusammen etwas auf die Beine, das sowohl der Welt als auch uns beiden helfen könnte – wir könnten Gelder für sauberes Wasser auftreiben, für die AIDS-Hilfe in Afrika, für Geburtenkontrolle in den Entwicklungsländern, für Naturschutzreservate, erneuerbare Energien, Wohnungen für alte Menschen und so weiter und so weiter. Es gibt so unglaublich
viel, was du tun könntest, Sebastian, aber du ... tust ...
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