Prophezeiung
Bürgerkrieg in angemessener Auflösung an die großen Nachrichtensender zu übermitteln.
Hier kamen die Journalisten ins Spiel. Verantwortungsvoll ihrer Berichterstatterpflicht nachkommend, kreisten sie in Helikoptern über den Brennpunkten und lieferten aus sicherer Entfernung spektakuläre Bilder von Elend, Krieg und Tod. Die spektakulärsten jedoch lieferte ein besonders dummes Kamerateam, das den Kampf Zehntausender um einen Brunnen von oben herab gefilmt hatte und aus Gründen der Bildästhetik so dicht über den sterbenden Beduinen und Tuareg gekreist hatte, dass man nicht nur deren flehend gen Himmel gereckten Hände sah, sondern sogar ihre verzweifelten Augen erkennen konnte, scharf, farblich brillant und bildstabilisiert.
Als Zuschauer war man förmlich hautnah dabei, mitten im Sterben. Aber als der Kameramann wieder einmal eine Totale gewählt hatte, sah man – und zwar offensichtlich eher als er selbst –, wie der Raketenwerfer unten geschultert wurde, von einem großen, blau gewandeten Mann inmitten einer Gruppe von weißen und blauen Umhängen. Man sah die plötzlich Richtung Boden ausbrechende kleine Rauchwolke inmitten der Menge, und man sah, wie die Rakete rasend schnell aufstieg. Auf den Helikopter zu. Auf das Kameraauge zu.
Man sah die Rakete kommen, man hörte noch einen alarmierten Schrei von rechts neben der Kamera, aus dem Off, und dann explodierte man mit dem Kamerateam.
Die Kamera selbst blieb eingeschaltet, das Signal war bis zuletzt übertragen worden und dokumentierte aus nächster Nähe dentrudelnden Absturz eines der Journalisten, seinen lauten Schrei, während er in den sicheren Tod stürzte.
Die Bilder überlebten. Und waren sensationell, alle Sender zeigten sie immer und immer wieder, und man konnte fast glauben, einen Trailer für Stirb langsam 5 zu sehen. Aber der Abschuss von Agadez lieferte beileibe nicht die einzigen Horrorbilder, lediglich die technisch gelungensten. Unwirklich war alles, was auf den Schirmen lief.
Wer im regnerischen Norden zu Hause bei Kerzenschein auf dem Sofa hockte oder gar in einem klimatisierten Konferenzsaal in Genf, der konnte sich nur mit Mühe vorstellen, dass all diese Bilder die Wirklichkeit abbildeten, eine Welt zeigten, in der mit jeder Minute mehr verzweifelte Menschen einen Weg in sichere Regionen suchten und nur den Tod fanden.
Milett bedeutete einem rechts von seinem Podest stehenden Mann mit einer Handbewegung, die stumm auf allen Monitoren laufenden Nachrichtenbilder für einen Augenblick auszuschalten. Sekunden später wurden die Bildschirme schwarz. Milett räusperte sich, und Mavie erkannte links von seinem Podest eine ganze Reihe bekannter Gesichter. Nobelpreisträger wie Paul Crutzen, Klimatologen wie Rudolf Herrlich aus Potsdam, den NASP -Lobbyisten Patrick Dixon und Aldo Bernardi, einen bekennenden Verehrer von Wally Broeckers CO 2 -Scrubbing-Technik.
Sie entspannte sich. Falls Milett glaubte, die nukleare Sprengung des Emi Koussi sei praktisch schon beschlossene Sache, hatte er die Rechnung offenbar ohne einige Wirte gemacht. Aber der Nobelpreisträger überraschte die Runde, indem er mit der Tür ins Haus fiel.
»Guten Morgen«, sagte er, »und herzlich willkommen in Genf. Lassen Sie mich, bevor wir in gebotener Eile die Details besprechen, das Ergebnis zusammenfassen: Emi Koussi ist unser neuer Pinatubo.«
Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Leises, ungläubiges Murmeln erhob sich, hier und da mischte sich ein ebenfalls leises, ebenfalls ungläubiges Lachen hinein, und Milett ließ seine Zuhörer für einen Augenblick gewähren.
Als er die Stimme gerade wieder erheben wollte, öffnete sichdie Doppeltür zum Konferenzraum, und Mavie sah nach rechts, während auch die meisten anderen Anwesenden die Köpfe wandten, mit fragenden Blicken, wer es wagte, zu dieser wichtigen Versammlung zu spät zu erscheinen.
Zwei Bodyguards traten ein und hielten die Türen auf, zwischen ihnen trat Dominique Lefèvre ein, seit einem halben Jahr Frankreichs neuer Umweltminister, und begrüßte Milett, indem er breit lächelte und kurz die Linke in Richtung Podium erhob. Dann aber trat auch er beiseite, und als Mavie sah, wem er Platz machte, war ihr, als hätte man ihr einen zentnerschweren Sandsack vor die Brust geworfen.
Fritz Eisele sah blendend aus.
Mavies erster Gedanke war vollkommen abwegig. Sie wollte Philipp anrufen und ihm sagen, erstens hätten er und Thilo recht gehabt, denn Eisele wirkte eindeutig nicht, als
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