Prophezeiung
den Blick und nickte. Und sah wieder auf und nickte gleich noch mal, geschäftig, weil er mehr Mitgefühl offensichtlich nicht ertrug, jedenfalls nicht von einer frisch bombardierten Frau. »Kennst du Leland Milett?«
»Ja«, sagte sie.
»Ich nicht«, sagte er.
»Zwei Nobelpreise …«
»Das weiß ich inzwischen auch. Aber wer kennt schon Nobelpreisträger, außer dir und deinem Vater? Ich meine, die kennt doch schon namentlich keiner, und persönlich kennt er den ja wohl auch nicht.«
»Er war mal bei ihm, soweit ich weiß.«
»Ja, auf ’ner Fantour. Hat er mir erzählt, zehn Jahre her. Aber nur weil Hannah ein zehn Jahre altes Autogramm von Miley Cyrus hat, kennt sie die ja noch lange nicht.«
»Was ist mit Milett?«
»Das wäre Plan B. Nizza.«
Sie sah ihn fragend an. Er seufzte wieder.
»Ruf Papa an und lass es dir erklären. Aber mach das von unterwegs.«
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22 Philipp fuhr den X6 durch den strömenden warmen Regen direkt vor den überdachten Empfang der kleinen Klinik, und beim Einsteigen fragte Mavie ihn, wo der Porsche geblieben sei. Sowie der CO 2 -Fänger. Während sie der sanft zur Hauptstraße hin abfallenden Zufahrt folgten, erklärte er ihr nichtzum ersten Mal, CO 2 werde gnadenlos überschätzt, außerdem seien sie im Porsche nicht mehr sicher, weil man inzwischen wisse, wem der gehörte, drittens ziehe er es vor, im Rahmen der anstehenden Fotosession nicht erkannt zu werden. Mit diesen Worten zog er eine Baseballkappe vom Armaturenbrett, auf der ein dickes Elf-Logo prangte, zog sie sich gefährlich weit über die Augen und gab Gas.
Mavie schnallte sich sicherheitshalber an.
»Fotos?« Sie hatte selbst das Gefühl, ein bisschen begriffsstutzig zu sein, aber das lag an dem dumpfen Schleier, den die Medikamente über ihre Sinne gezogen hatten.
Philipp nickte. »Blitzampeln. Randvoll. Keine Ahnung von Fahrkultur, die Froschfresser. Alles verkehrsberuhigte Zone, sogar die Autobahnen. Aber so ’ne Katastrophe hat ja auch Vorteile. Wird nämlich keiner Zeit haben, das ganze Zeug zu sortieren und den Fahrer zu ermitteln. Zumal der Georg Scholz heißt, derzeit in Florida rumhängt und nie im Leben Elf-Kappen tragen würde.«
»Das ist der Plan?«
»Teil des Plans. T minus fünf Stunden bis Nizza. Leg dich wieder hin.«
Ihr Ledersitz brummte leise und begann sich in eine bequeme Liegefläche zu verwandeln. Sie suchte den Stoppknopf, fand ihn und beförderte sich zurück in die Senkrechte. »Reizend«, sagte sie. »Behalte beide Hände am Steuer.« Sie griff nach ihrer Tasche, zog das Handy heraus, schaltete es ein und wählte Edwards neue Handynummer.
Ihr Vater hatte sich zeit seines Lebens immer mit seinem Nachnamen gemeldet. Jetzt sagte er bloß »Ja«, mit fragendem Unterton.
»Ich bin’s«, sagte sie.
»Gott sei Dank. Wie geht es dir?«
»Es geht. Bisschen zerschrammt, paar Rippen angebrochen. Aber alles in Ordnung so weit. Philipp hat dir alles erzählt?«
»Ja. Und ich stimme deinem Begleiter zu, dass ihr eine Rückkehr hierher in Erwägung ziehen solltet, trotz der bevorstehenden …«
Mavie unterbrach ihn. »Was ist mit Milett?«
Edward seufzte. »Er scheint mir der Einzige zu sein, der uns unter Umständen helfen kann. Philipp und ich sind gemeinsamdie Liste unserer Kontakte durchgegangen. Weder er noch ich verfügen über brauchbare persönliche Verbindungen zu Ministern oder maßgeblichen Mitgliedern des IPCC , und der Präsident der Niedersächsischen Handelskammer wird nicht leisten können, was wir benötigen. Wir brauchen ein Megafon.«
Mavie verzog skeptisch das Gesicht. Milett? Ein Megafon?
»Korrigier mich«, sagte sie. »Wir reden vom gleichen Milett?«
»Dem Nobelpreisträger, ja.«
»Der seit zehn Jahren schweigt?«
»Seit sechs.«
»Das macht es nicht besser.«
»Aber die Welt wird ihm zuhören.«
»Sofern er sich äußert.«
»Ja. Aber vergiss nicht, weshalb er sich damals aus der Öffentlichkeit verabschiedet hat.«
»Hilf mir mal«, sagte sie.
Edward fasste zusammen. Milett, 1954 in Surrey geboren, hatte zunächst eine eindrucksvoll steile Karriere als Bühnenautor hingelegt, als blutjunges enfant terrible der europäischen Szene, dessen gesellschaftskritische Stücke immer eine große und treue Gemeinde von kulturell einflussreichen Verehrern gehabt hatten. Sein bekanntestes Stück, das 1992 entstandene Oil, Sodomy, and The Lash hatte ihm ein Einreiseverbot für die USA eingebracht und 1996, in immer noch skandalös jungen Jahren, den
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