Psycho Logisch - Nuetzliche Erkenntnisse der Alltagspsychologie
Aktenordner, während Ihr Chef durch den Wurf fast sein Gleichgewicht verliert, sich aber gerade noch an seinem Stehpult wieder auffangen kann …
»… das ist bis morgen früh erledigt, klaro? Und jetzt raus hier!«
Sie holen Luft, aber schon stehen Sie auf dem Flur, und der Chef hat die Tür hinter Ihnen zugeknallt.
So viel hätte es noch zu sagen gegeben! Dass die falschen Zahlen nicht von Ihnen stammten, sondern aus einer ganz anderen Abteilung. Dass heute Morgen mal wieder die S-Bahn ausgefallen war – und dass die Arbeit, die Sie nun im Arm halten, unmöglich bis morgen früh zu schaffen ist.
Auf einer Skala von eins bis sechs – welche Reaktion liegt Ihnen näher?
»Ich gehe in mein Büro, öffne den Waffenschrank, nehme ein Maschinengewehr heraus und gehe zurück ins Chef-Büro …«
1 ❏
2 ❏
3 ❏
4 ❏
5 ❏
6 ❏
»Ich gehe in mein Büro, lasse ein Schaumbad in die Wanne, lege mich mit einem Glas Prosecco hinein und rufe ein paar gute Freundinnen an …«
Vermutlich haben Sie weder mit 1 noch mit 6 geantwortet, weil Sie, wenn bei Ihnen einigermaßen normale Zustände herrschen, weder einen Waffenschrank noch eine Badewanne im Büro haben. Vielleicht werden die Frauen unter Ihnen bei der zuerst beschriebenen Reaktion gedacht haben: »typisch Männer«, während den Männern bei der zweiten »typisch Frauen« durch den Kopf schoss. Und wahrscheinlich werden Sie als Mann tatsächlich eher eine 2 oder 3 angekreuzt haben und als Frau eher eine 4 oder 5. (Ausnahmen bestätigen die Regel, also bitte nicht gleich aufregen, wenn es bei Ihnen ausgerechnet anders war. Lesen Sie erst mal weiter, wie man mit Aufregung am besten umgeht …).
Alles nur Klischee? Nein, Wissenschaft! Erst in den letzten Jahren hat man wissenschaftlich erkannt, dass Männer und Frauen auf Stress recht unterschiedlich reagieren.
Und darum geht es ja hier: die Reaktion auf Stress. Alle können wir sagen, wenn wir ihn spüren. Doch was ist »Stress« eigentlich genau? Das Wort »Stress« kannte man ursprünglich nur in der Physik, wo es den Druck auf ein Material beschrieb. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts übertrug der Mediziner Hans Selye den Begriff in die Psychologie. Stress beschreibt einen Zustand, mit dem unser Körper auf bestimmte Auslöser reagiert, sogenannte Stressoren. Stressoren sind Ereignisse, die uns aus dem Gleichgewicht bringen. Sie fordern von uns eine Anpassungsreaktion.
Diese Stressoren können von außen kommen, also extern sein: die unvorhergesehene Kaffeepfütze morgens in der Küche, wenn wir es ohnehin eilig haben. Die Aufgabe, die uns der Chef noch kurz vor Feierabend reindrückt. Der Idiot, der auf der Straße plötzlich grundlos vor uns eine Vollbremsung hinlegt. Die Schwiegereltern, die sich nicht nur überraschend, sondern auch unpassend fürs Wochenende angesagt haben.
Stressoren können aber auch in unserem Inneren entstehen, zum Beispiel, wenn wir uns mit bestimmten Zielen unter Druck setzen: etwa beim Stadtmarathon unter den ersten Zehn zu sein oder in diesem Jahr befördert zu werden oder zehn (vielleicht auch nur zwei) Kilo abzunehmen. Auch Ängste können interne Stressoren sein, wenn wir zum Beispiel abends im Club ständig davor auf der Hut sind, unserem Ex zu begegnen. Oder wenn wir Angst davor haben, dass unsere Affäre mit der Kollegin auffliegt.
Wir empfinden den Stress umso stärker, je mehr die notwendige Anpassung unsere Ressourcen übersteigt – also zum Beispiel die Zeit, das Geld, die Kraft oder die Fähigkeiten, die uns zur Verfügung stehen. Weil unterschiedliche Menschen über unterschiedliche Ressourcen verfügen, kann ein und dasselbe Ereignis bei dem einen starken Stress hervorrufen, während es einen anderen gar nicht juckt. Besonders stark ist der Stress, wenn wir den Eindruck haben, wir können den Auslöser gar nicht kontrollieren. Wenn der Chef uns also nicht nur zu viel Arbeit auf den Tisch knallt, sondern uns auch noch ungerecht behandelt und uns keine Chance gibt, uns zu rechtfertigen – dann rast unser Puls ganz besonders.
Die Anpassung an den Stressor, in der Fachsprache »Adaptation« genannt, geschieht in drei Stufen: Zuerst zeigt unser Körper eine Alarmreaktion. Das ist ein kurzer Erregungszustand, der uns wachsam und sensibel dafür macht, wie sich der Stressor weiterentwickelt. Dabei erhöhen sich zum Beispiel Puls und Atmungsfrequenz, die Lymphknoten schwellen an. Auch der Hormonspiegel steigt an. Bleibt der Stressor, schaltet unser Körper
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