Psycho Logisch - Nuetzliche Erkenntnisse der Alltagspsychologie
meiner Bekanntschaft habe und selbst einfach mal anrufen könnte – aber das nur nebenbei). Dann gibt es Ereignisse, die wir selbst zwar nicht unmittelbar beeinflussen können, die wir uns aber immerhin erklären können. Allein diese »Erklärhoheit« gibt uns ein gewisses Kontrollempfinden – denn wenn wir Ursache und Wirkung kennen, dann bedeutet das auch: Wir können eine bestimmte Wirkung voraussagen und zumindest theoretisch etwas an der Situation ändern, indem wir die Ursache verändern.
Am schlimmsten ist es, wenn beides fehlt: Wenn wir keinen Einfluss auf ein Ereignis haben und wir uns das Ereignis noch nicht einmal erklären können. Wir haben dann den Eindruck, wir seien einem chaotischen Zufall oder irgendeiner unerklärlichen Willkür ausgeliefert – und hätten die Kontrolle komplett verloren. Das Gleiche gilt, wenn zwar eine Erklärung auf der Hand liegt (»Er steht einfach nicht auf mich«), wir diese Erklärung aber nicht akzeptieren wollen. Auch in diesem Fall »fehlt« uns unterm Strich eine Erklärung für das Geschehen.
Diese Hilflosigkeit ist so unerträglich, dass unser Gehirn sie nicht zulässt. Es versucht verzweifelt, die Kontrolle zurückzugewinnen – und der erste Schritt auf dem Weg dahin ist, eine Erklärung zu finden.
Studien zeigen: Je mehr uns die Kontrolle entgleitet, desto stärker fantasieren wir uns Erklärungen für alles um uns herum zusammen. Und hier kommt nun Ihre Interpretation des Punkte-Bilds von oben ins Spiel. In einem Experiment stellt man zwei Gruppen von Menschen genau die gleiche Frage: »Was sehen Sie in diesem Bild?« Allerdings hat man vorher mit den beiden Gruppen unterschiedliche Vorstellungsübungen gemacht: Die Menschen der ersten Gruppe sollten sich eine Situation aus ihrem Leben vorstellen, die ihnen über den Kopf gewachsen war. Die der zweiten Gruppe sollten sich an eine Situation erinnern, die sie völlig entspannt unter Kontrolle hatten.
Diese unterschiedlichen Vorstellungen haben einen starken Einfluss darauf, was die Menschen auf dem Bild sehen. Die entspannte Gruppe erkennt ganz entspannt und zutreffend: »Dahinter steckt kein System.« Die Gruppe, die sich zuvor die hilflose Situation vorgestellt hat, sieht hingegen in der Zeichnung viele (in Wahrheit nicht vorhandene) Muster und Gesetzmäßigkeiten: Tiere, Figuren, Worte. Auch wenn man den beiden Gruppen wirre Börsendaten vorlegt, erkennt die eine Gruppe darin Trends und Gesetzmäßigkeiten. Die andere sieht – zutreffend – nur einen chaotischen Datenberg.
Fazit: Wenn wir uns hilflos fühlen, hören wir überall das Gras wachsen und reimen uns aus zufälligen Puzzleteilen eine Erklärung zusammen. Je mehr Kontrolle wir aber generell über unser Leben haben, desto eher sind wir in der Lage, uns auch mal damit abzufinden, dass bestimmte Dinge nur ein unstrukturiertes Chaos darstellen.
Nun zur Wahrheit: Das Bild oben enthält keine Ordnung und keine Figuren. Es ist eine chaotische Ansammlung von Punkten. Wenn Sie das auch so gesehen haben, scheinen Sie momentan eine ganz gute Kontrolle über Ihr Leben zu haben. Je mehr Ordnung Sie in das Bild hinein interpretiert haben, desto stärker ist möglicherweise Ihr Bedürfnis nach Kontrolle – und desto mehr könnte Ihnen diese Kontrolle momentan in Ihrem Leben fehlen.
Aberglauben zum Beispiel ist der verzweifelte Versuch unseres Gehirns, sich Dinge zu erklären, wenn wir uns hilflos fühlen. Auch Verschwörungstheorien entstehen aus unserem Kontrollbedürfnis. Selten zum Beispiel hat sich die westliche Welt so hilflos gefühlt wie nach den verheerenden Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center am 11. September 2001. Und selten hat die westliche Welt mehr Verschwörungstheorien hervorgebracht. Ganze Internetseiten und sogar Filme mit allen möglichen Erklärungen sind entstanden. Hartnäckig hält sich zum Beispiel die These, amerikanische Geheimdienste selbst hätten die Türme gesprengt.
Auch an der Börse kann das Bedürfnis nach »Kontrolle durch Erklärung« zum Verhängnis werden: Je hilfloser die Lage wird, desto stärker »erkennen« Investoren in den Kursverläufen Muster und Gesetzmäßigkeiten, die es gar nicht gibt. Und desto überzeugter werden sie, alles unter Kontrolle zu haben – und stürzen sich (und andere) nur noch weiter ins Verderben.
Die meisten von uns wissen, dass ein Schornsteinfeger kein Glück bringt und eine schwarze Katze kein Pech. Aber es lohnt sich, ab und zu einmal zu prüfen, ob wir uns nicht auch
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