Psychopath
gehört hat? Haben Sie sich nie gefragt, warum nicht? Wo ist er hin? Hat er sich in Luft aufgelöst?
Warum hat Ihre Mutter Sie einen »kleinen Bastard« genannt – wortwörtlich ein vaterloses Kind?
Er wollte den Highwaykiller dazu zwingen, sich der Wahrheit zu stellen, indem er sie bildlich vor seinem geistigen Auge wachzurufen versuchte:
Legen Sie diesen Brief einen Moment beiseite, schließen Sie Ihre Augen, und stellen Sie sich abermals die Szene im Haus vor, die Sie beschrieben haben. Geben Sie der Person, die Sie schlägt, Sie beschimpft, Ihre Spielsachen kaputtmacht, das Gesicht Ihrer Mutter. Können Sie überhaupt ertragen, das zu tun? Und wenn Sie Ihrem Angreifer jenes Gesicht gegeben haben, können Sie es dann noch wieder wegnehmen? Oder ist es dort fest von der Realität verankert, von der Wahrheit, die der Highwaykiller niemals ertragen könnte – dass Ihre Mutter, wie Sie selbst, gleichzeitig Dunkelheit und Licht, Gut und Böse, Himmel und Hölle war.
Die Worte von Jung, die Sie zitiert haben, sollten jetzt zu Ihnen sprechen:
»Es ist eine traurige Wahrheit, dass unsere Welt und das Leben aus unerbittlichen Gegensätzen besteht, aus Tag und Nacht, Wohlergehen und Leid, Geburt und Tod, Gut und Böse. Wir sind nicht einmal sicher, dass eins das andere aufwiegt, das Gute das Böse oder die Freude den Schmerz. Leben und Welt sind ein Schlachtfeld der beiden. So ist es immer gewesen, und so wird es immer sein; und wenn es nicht so wäre, würde alle Existenz ein Ende haben.«
Lassen Sie Ihre Illusionen fahren. Lassen Sie zu, der Junge zu sein, der von einer gewalttätigen, schizophrenen Mutter verletzt wurde, statt eine Existenz als lebende Personifizierung ihrer Krankheit zu führen. Nehmen Sie die Teile von sich an, die als Kind gestorben sind, und Sie werden nicht länger danach hungern, andere sterben zu sehen. Schauen Sie sich gut an, was in Ihnen ermordet wurde, und der Highwaykiller wird einen Vampirtod im gleißenden Licht der Wahrheit sterben.
Jeder Tag, den Sie krank bleiben, spiegelt tatsächlichmeine Unzulänglichkeiten als Heiler wider, doch er repräsentiert auch Ihre Unzulänglichkeiten als Mensch und als Christ. Sollten wir darin versagen, den Highwaykiller aufzuhalten, wird meine Fähigkeit als Arzt infrage gestellt sein. Doch für Sie steht weit mehr auf dem Spiel: das endgültige Urteil über Ihre Seele.
Sie sind es, der sich in seiner blinden Liebe zu einer Frau verloren hat, Gabriel, nicht ich. Erkennen Sie sie als das, was sie war, und befreien Sie sich selbst.
Er las den Brief einige Male, bevor er ihn unterschrieb. Er vertraute auf seinen Instinkt, was seiner Erfahrung nach der einzige Weg war, einen gewaltigen Sprung nach vorn zu machen – in einer Ermittlung oder in der Psychotherapie. Die wahren Durchbrüche kamen, wenn man seine Intuitionen ausreizte. Doch wenn man sich auf dieses Spiel einließ, gab es kein Zurück mehr. Man drang entweder zum Patienten durch und veränderte sein Leben, oder man verlor ihn – manchmal für die betreffende Therapiestunde, manchmal für immer. Und Clevenger machte sich keine Illusionen: Gabriel zu verlieren würde bedeuten, dass andere Menschen ihr Leben verloren.
11
Jonah setzte sich hinter seinen Schreibtisch, sobald Hank Garber in einem der Sessel davor Platz genommen hatte. Sam saß neben seinem Vater und trommelte nervös mit den Fingern auf seinem Schenkel. Die New York Times lag auf Jonahs Schreibtisch, mit seinem Brief auf der Titelseite.
Hank zeigte auf die Zeitung. »Schon wieder einer von den Briefen aus New York City?« Er schüttelte den Kopf. »Ich wette, Sie würden diesem Irren liebend gern mal ins Gehirn schauen.«
»Ja«, bestätigte Jonah lächelnd, »das würde ich.« Er machte eine Pause. »Ich bin froh, dass Sie bereit waren, sich mit mir zu treffen. Und ich denke, es ist wahrscheinlich besser, dass Ihre Frau nicht kommen konnte. Das gibt uns dreien ein wenig Zeit.«
»Heaven hat ihre eigenen Probleme mit der Gesundheit«, sagte Hank und sah zu Sam. »Es ist wieder ihr Rücken. Sie hat schreckliche Schmerzen.«
Sam senkte den Blick.
Jonah wollte nicht, dass der Junge den Mut verlor. »Glauben Sie mir – Ihr Sohn leidet weit mehr als Ihre Frau«, sagte er zu Hank. »Deshalb habe ich Sie hergebeten. Sam möchte, dass Sie von ihm hören, was er morgen dem Jugendamt erzählen wird. Es ist für ihn sehr wichtig, dass Sie hinter ihm stehen und zugeben, dass er die Wahrheit
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