Psychopath
klingt aber wirklich interessant.«
»Ist es auch, immer. Ich liebe es, die Wahrheit über Leute herauszufinden.« Jonah wandte seinen Kopf zu Holt um und sah ihn an, bis Holt sichtbar nervös wurde. Dann schaute er wieder auf den Highway »Das mag für Sie bizarr klingen, aber ich würde es mir gern ansehen.«
»Meine Glasarbeiten?«
»Nein. Ihr Auge. Oder was davon noch übrig ist.« Er warf einen Blick zu Holt, der plötzlich sehr beunruhigt aussah. »Verlange ich da zu viel?«
»Sie nehmen mich auf den Arm, stimmt’s?«
»Ich meine es völlig ernst.«
Holts Hand wanderte zum Griff der Beifahrertür. »Ich versprech Ihnen, es ist kein schöner Anblick. Es hat einen Grund, weshalb es unter der Klappe verborgen ist.«
»Leute haben immer einen Grund, weshalb sie Dinge verbergen«, gab Jonah zurück. »Aber ich habe in meinem Leben sehr hässliche Dinge gesehen – und gehört. Sie können es mir zeigen.« Einen Moment lang sagte keiner der beiden Männer etwas. »Nur zu.«
»Ich zeige es niemandem.«
Jonah zwang sich zu einem Lächeln. »Wenn es einen anderen Grund dafür gibt, weshalb Sie die Augenklappe tragen, als den eben genannten, sollten Sie es mir einfach sagen.«
»Wie meinen Sie das?«
Jonah bremste den Wagen ab und zog an den Straßenrand. »Ich will nichts weiter als die Wahrheit hören, Doug. Wenn Sie wirklich so heißen.«
Holts andere Hand stahl sich zum Knopf der elektrischen Zentralverriegelung in der Mittelkonsole.Jonahs Hand griff nach dem Jagdmesser, das er mit Klebeband unten an der Fahrertür festgemacht hatte. Es hatte eine zwanzig Zentimeter lange Klinge und war rasiermesserscharf. Er wollte es nicht benutzen, er wusste, es zu benutzen wäre eine Sünde gegen den Gott, den er liebte, doch er verlangte nach der Wahrheit, selbst wenn die einzige Wahrheit, die er von diesem Mann erhalten würde, seine ehrliche Panik war, wenn ihm die Kehle durchgeschnitten wurde. »Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Nehmen wir einmal an, die Augenklappe wäre nur eine gerissene Methode, um am Straßenrand Aufmerksamkeit zu erregen und damit Ihre Chancen zu erhöhen, als Anhalter mitgenommen zu werden. Das würde jetzt keine wirkliche Rolle mehr spielen. Jetzt zählt nur noch, dass Sie ehrlich sind.«
Holt saß reglos da und sagte nichts.
»Sagen Sie mir einfach die Wahrheit«, drängte Jonah. »Ich bitte Sie darum.«
Holt wandte sich ab und schaute aus dem Beifahrerfenster. »Okay«, sagte er. »Hier kommt’s.« Dann – mit der Anspannung seines Unterarms als einziger Vorwarnung – drückte er den Knopf, der die Beifahrertür entriegelte, und zog am Türgriff. Seine Bewegungen waren präzise, doch ein klein wenig zu langsam. Denn als seine Tür aufschwang, schwang auch Jonahs Arm nach vorn, und das Messer in seiner Hand schlitzte Holts Halsschlagader, Speiseröhre und Luftröhre auf.
Holt drehte sich um und sah Jonah mit dem verwirrten Blick aller seiner Opfer an. Sein Blick mochte noch lang genug klar geblieben sein, um zu sehen, wie Jonah ihn weinend in die Arme nahm. Und er lebte wahrscheinlich noch lang genug, um die vier Worte zu hören, die ihm ins Ohr geflüstert wurden, Worte, die vollkommen ehrlich klangen, weil Jonah sie aus tiefstem Herzen sprach.
»Es tut mir Leid.«
Er schleifte Doug Holt einen knappen Meter in den Wald und ließ ihn dort liegen, und seine beiden gesunden Augen starrten zum nachtschwarzen Himmel hinauf, während die Augenklappe wie eine Aderpresse um den Arm geknotet war, aus dem Jonah Blut entnommen hatte. Er holte den Rucksack vom Rücksitz, warf ihn achtlos neben die Leiche und wandte sich zum Gehen. Doch dann übermannte ihn die Neugier. Er ging neben dem Rucksack in die Hocke, um nachzuschauen, was Holt bei sich gehabt hatte – wer er tatsächlich gewesen war.
Er fand die erwarteten Dinge: Kleidung zum Wechseln, ein Nylonzelt, eine Kletteraxt, eine Plastikflasche mit Wasser. Doch dann fand er das Unerwartete – Kapitel aus Doug Holts Lebensgeschichte.
Das erste war ein Gerichtsbescheid, datiert elf Tage zuvor, der Holt aufforderte, in Zusammenhang mit einer Anklage wegen Besitzes von Marihuana und Kokain und der Absicht, damit zu handeln, vor dem Strafgericht von Bristol County, Connecticut, zu erscheinen. Das erklärte seine behelfsmäßige Verkleidung. Er war auf der Flucht.
Zweitens waren da zwei United-Airlines-Tickets nach Brasilien – eins für Holt und eins ausgestellt auf den Namen Dr. Naomi Caldwell. Sie wollten zusammen das Land verlassen.
Und
Weitere Kostenlose Bücher