Psychopath
und sich in Liebesduseleien erging. Er hatte sich einen Vater vorgestellt, der ihn liebte. Einen Mann, der für ihn sorgen und ihm Geborgenheit geben würde.
Was er sich in seiner Fantasie ausgemalt hatte, war das genaue Gegenteil von seinem Vater, und er war bereit, sein letztes Hemd darauf zu verwetten, dass der Highwaykiller sich in seiner Fantasie das genaue Gegenteil von seiner Mutter zusammenträumte. Sie war es gewesen, die ihn mit einem Schlag zu Boden geworfen, seine Spielzeuge zertrümmert und ihn einen »kleinen Bastard« genannt hatte.
Er brannte darauf, Clevenger zu erzählen, was er von dem Brief hielt, und kam sich sogleich kindisch vor. »Als ob ihn interessiert, was du denkst«, brachte er sich selbst zur Räson.
Er hätte den Drang, sich mitzuteilen, augenblicklich abgetan, wäre ihm nicht etwas anderes aufgegangen, während sein Zug Richtung Norden sauste. Er erkannte, dass Clevenger die Art Mensch war, die er sich in seiner Fantasie ausgemalt hatte, wann immer sein Vater keifend und wutschnaubend auf ihn eingeprügelt hatte. Jemand, der ihm zur Seite stehen würde. Der für ihn kämpfen würde, nicht mit ihm. Vielleicht war es deshalb so hart, mit ihm zusammenzuleben. Vielleicht war das der Grund, weshalb er sich all diese Drogen reinpfiff. Vielleicht fiel es ihm schwer, an etwas zu glauben, das er sich erträumt hatte – einen wirklichen Vater, einen Mann, der ihn wirklich liebte.
»Du bist ‘ne totale Lusche, Bishop«, murmelte Billy »Der Typ kümmert sich einen Scheißdreck um dich.« Doch die Worte wollten einfach nicht passen, weil sie aus Angst und nichts weiter geboren waren. Der Angst, dass ihn niemandlieben konnte. Der Angst, dass er verlieren könnte, was er gefunden hatte, dass Clevenger ihn im Stich lassen, sich als eine Illusion erweisen würde. Und das wäre verdammt traurig, und auch peinlich. Denn in Wahrheit fing Billy an, Clevengers Liebe zu erwidern.
Und genau deshalb flüchtete er sich ins Highsein. Deshalb flüchtete er jetzt im Zug.
Er kam um null Uhr fünfundfünfzig in Burlington an. Er hätte stehenden Fußes einen Zug zurück zur Bostoner South Station genommen, aber der nächste fuhr erst um sieben Uhr früh. Also trat er aus dem Bahnhof hinaus in die eisige Frische einer Vermonter Nacht und marschierte an der Route 7 entlang zu der Hütte von Caseys Eltern.
Clevenger tat in jener Nacht kein Auge zu. Keiner der Cops aus Newburyport, mit denen er gesprochen hatte, kannte eine »Casey«. Peter Fitzgerald von der Werft hatte sie ein paar Mal gesehen, wenn sie Billy auf der Arbeit besucht hatte, das war aber auch schon alles, was er über sie wusste. Dann klingelte um drei Uhr siebenunddreißig das Telefon. North Andersons Privatnummer erschien auf dem Display Clevenger griff nach dem Hörer, doch die plötzliche Sorge, er würde schlechte Nachrichten zu hören bekommen und es wäre einer dieser Anrufe, den die unglücklichsten Eltern der Welt erhielten, wenn ihr Kind eine Überdosis genommen hatte oder von einem Auto überfahren oder ermordet worden war, ließ seine Hand erstarren. Drei Uhr siebenunddreißig. Würde er sich für den Rest seines Lebens an diesen Moment erinnern, würde er Nacht für Nacht aus dem Schlaf hochschrecken und auf jene blutroten Ziffern auf seinem Wecker starren? Er zwang sich, den Hörer abzunehmen. »Hast du etwas herausgefunden?«, fragte er.
»Er ist auf dem Weg nach Vermont«, sagte Anderson.
»Vermont?«
»Ich hab vor ‘ner knappen Stunde seine Freundin ausfindig gemacht. Sie geht auf die Governor Welch Academy in Georgetown. Nennt sich Casey aber ihr richtiger Name ist Katherine Paulson Simms. Stammt aus einer der angesehensten Familien von Newburyport. Sie wollte nicht mit der Sprache rausrücken, ein echt zäher Brocken – bis ich geblufft und ihr erzählt habe, die Cops würden sich vielleicht mit ihr über das Gras unterhalten wollen, das sie in deiner Wohnung liegen gelassen hat.«
»Was will er denn in Vermont?«
»Er hat Casey erzählt, er bräuchte Zeit zum Nachdenken, Freiraum, was auch immer. Die Simms haben eine Hütte am Lake Champlain. Sie hat ihm den Schlüssel gegeben. Ich hab Greyhound und Amtrak angerufen. Er hat den Zug genommen und die Fahrt mit einer – vielmehr deiner – American-Express-Karte bezahlt. Er ist kurz vor ein Uhr dort angekommen.«
»Danke«, sagte Clevenger. »Ich bin schon unterwegs.«
»Hör mal, Frank«, hielt Anderson ihn zurück. »Sag mir ruhig, wenn ich mich raushalten soll,
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