Psychopath
beste Gesellschaft gewesen, die er sich an der langen Theke erhoffen konnte. Der Mann kannte sich wie kein Zweiter in Sport, Politik und Geschichte der letzten Jahrzehnte in Chelsea aus. Und wenn die beiden bei ihrer dritten Runde angekommenwaren, hatten sie manchmal richtig miteinander geredet – über den Ärger mit der Familie und den Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit und das Wunder weiblicher Schönheit und die Angst vor dem Tod.
»Wenn ich ihn heile, ihn aber nie schnappe?«, wiederholte Clevenger, um auf Zeit zu spielen.
»Genau das will er doch, oder nicht?«, hakte Resnek nach. »Geheilt werden, ohne geschnappt zu werden. Und Sie sind ein Meister darin, Leuten in den Kopf zu schauen. Deshalb hat er Sie ja überhaupt ausgesucht.«
Clevenger ließ sich das Szenario, das Resnek ausgemalt hatte, durch den Kopf gehen. Und die Antwort, die ihm einfiel, kam nicht nur aus seinem Herzen, sondern war auch das, was der Highwaykiller hören wollte, zum Glück, da die Reporter – einschließlich derjenigen der nationalen Fernsehsender sich nichts entgehen ließen, was Clevenger zu sagen hatte. »Mir geht es nur darum, dass er gesund wird und aufhört, Menschen umzubringen«, erklärte er. »Alles andere ist Sache des FBI.«
Er drehte sich um und öffnete die Tür.
»Wollen Sie damit sagen, dass Sie denen nicht helfen werden, ihn zu schnappen?«, rief ihm ein Reporter von CNN nach.
Clevenger stieß die Tür zu und lehnte sich einen Moment lang mit dem Rücken dagegen, bevor er die vier Etagen zu seinem Loft erklomm.
Im Loft war die Luft noch immer vom süßlichen Geruch des Marihuanas geschwängert. Er rief Billys Namen, erhielt keine Antwort, sah in seinem Zimmer nach, doch es war leer. Er folgte dem Geruch zu der Stelle, wo er am stärksten schien, zog den Abfalleimer unter der Küchenspüle heraus und sah die Kippen und die Asche, die Billy dort hineingeworfen hatte. Sein Puls schoss in die Höhe, und sein Kiefer verkrampftesich. Der Junge würde noch an diesem Tag in den Entzug wandern, basta. Kein Katz-und-Maus-Spielen mehr. Entzug, oder er würde ihn auf die Straße setzen. Die Wahl lag bei Billy. Dann entdeckte er die Nachricht, die Billy auf die herausgerissene Seite eines Notizbuchs gekritzelt und auf die Arbeitsfläche in der Küche gelegt hatte. Er las sie. »Das ist doch wohl nicht dein Ernst«, entfuhr es ihm mit zusammengebissenen Zähnen. »Scheiße!« Doch sein Zorn wurde von Schuldgefühlen und Sorge davongespült. Schuldgefühle, weil er es Billy offensichtlich übel nahm, dass er seine Aufmerksamkeit vom Highwaykiller abzog – als sei die Ermittlung und nicht die väterliche Fürsorge seine höchste Priorität. Sorge, weil sich Billy schon unter Clevengers Augen in alle möglichen Schwierigkeiten hineinmanövriert hatte und das nur schlimmer werden konnte, wenn er auf sich allein gestellt war.
Er wählte die Nummer von Billys Handy, hörte es jedoch in seinem Zimmer klingeln. Er rief zu Hause bei North Anderson an.
Anderson meldete sich.
»Ich bin’s, Frank«, sagte Clevenger.
»Willkommen daheim. Du hast also in Utah festgesessen, ja? Mit McCormick. Junge, du hast ein Glück, da kann einem echt ...«
»Hör zu, ich könnte wirklich deine Hilfe brauchen.«
»Ich hab deine Nachricht über die Leiche erhalten«, sagte Anderson. »Geköpft. Der Bursche kommt auch immer mit was Neuem.«
»Nicht nur bei den Ermittlungen«, erwiderte Clevenger. »Es geht um Billy Er ist abgehauen.«
»Abgehauen? Ich hab ihn gestern am späten Nachmittag gesehen. Er hatte eine Verabredung mit dieser Casey«
»Er hat mir eine Nachricht hinterlassen, dass er ›ein paar Tage‹ weg sein wird. Er hat auch einen Berg Marihuana herumliegen lassen. Er nimmt wieder Drogen. Und es ist ihm offensichtlich egal, ob ich es weiß.«
»Meine Güte«, entfuhr es Anderson. »Irgendeine Ahnung, wo er hin ist?«
»Nicht die leiseste. Ich weiß nicht, ob Casey irgendetwas damit zu tun hat. Nach der Menge an Asche im Abfalleimer zu urteilen, war eindeutig genug Marihuana im Spiel, um sie beide high werden zu lassen.« Er schüttelte frustriert den Kopf, als ihm aufging, dass er Casey nie kennen gelernt hatte und sich nicht einmal an ihren Nachnamen erinnerte.
»Wo wohnt sie?«, fragte Anderson.
»Newburyport, glaube ich. Zumindest ist Billy ein-, zweimal dorthin gefahren, wenn er sich mit ihr getroffen hat. Ich weiß, dass sie ihn auch ein paarmal mittags auf der Werft besucht hat. Vielleicht hat sie ihn durch
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