Psychopath
auch, dass es eine beängstigende, gefährliche Reise war, vergleichbar der Reise, die Christus machen musste, um Gott in sich zu finden und dann anderen zu helfen, ihn in sich zu finden.
Der Unterschied bestand darin, dass Jonah fest entschlossen war, dem Kreuz zu entgehen, fest entschlossen war, das Werk, das vor ihm lag, in diesem Leben zu vollenden – selbst wenn es bedeutete, dem Teufel von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten.
Er war erst um vier Uhr fünfzig im Bett, nachdem er eine weitere Stunde Richtung Osten gefahren war, um seinen Brief in einen Federal-Express-Versandbriefkasten in Creston, Wyoming, zu werfen, und dann wieder zwei Stunden zurück zum Ambassador Motel in Rock Springs. Er stellte seinen Wecker auf sieben, da er sich ein paar Stunden ausruhen wollte und sich seltsam ruhig und entspannt fühlte – er hatte keinen unstillbaren Drang, seine Patienten zu sehen, seine Kopfschmerzen waren verflogen, und seine Augen konnten wieder klar sehen. Er hatte knallhart gesagt, was gesagt werden musste. Und er würde tun, was getan werden musste. Er fühlte sich besser, als er das seit sehr langer Zeit getan hatte, und schlief mühelos ein.
Nachdem er seit Wochen unter Schlafmangel gelitten hatte, genoss er diesen tiefen, von Albträumen freien Schlummer und wachte erfrischt und gestärkt auf. Vielleicht hatte er das Schlimmste hinter sich, dachte er. Vielleicht konnte Gott erkennen, welchen Einsatz er zu geben bereit war. Vielleicht war er endlich auf dem richtigen Weg.
Er ging ins Badezimmer, schaltete das Licht an und schaute in den Spiegel. Und was er sah, ließ ihm den Atem stocken: Sein Gesicht und sein Hals waren blutbespritzt.
Er rieb sich mit den Handballen die Augen, um die Illusion zu vertreiben, doch sie starrte ihm weiter ins Gesicht. Er schüttelte ungläubig den Kopf. Der Mann im Spiegel tat das Gleiche. Er streckte die Hand aus und versuchte, ihn wegzuwischen, doch der Mann im Spiegel streckte ebenfalls die Hand aus. Und als sich ihre Fingerspitzen berührten, regten sich Erinnerungen an das, was Jonah Stunden zuvor getan hatte.
Er sah sich selbst an den Tresen der Raststätte treten, lächeln und die Frau fragen, ob er wohl die Toilette benutzen könne. Er sah, wie sie ihn durch die Küche führte und auf eine offene Tür zeigte. Und dann sah er, wie er rittlings auf ihr saß und mit seinen Händen ihren Hals umklammerte, während sich ihr graublaues Haar wie ein Fächer über den rosa Kachelboden ausbreitete.
Er riss seine Hände vom Spiegel weg, als sei das Glas glühend heiß. »Nein«, flehte er.
Doch sein Spiegelbild äffte ihn nur nach, und weitere Bilder tanzten vor seinem geistigen Auge. Er sah, wie er die Frau beim Haar packte und ihren Kopf in den Nacken riss, sah, wie die Klinge seines Messers ihre Luftröhre und Rachenmuskeln aufschlitzte, fühlte die warme Fontäne, die aus ihrer durchtrennten Halsschlagader über sein Gesicht spritzte.
»Es kann nicht sein«, flehte er. »Bitte, Gott.« Er kehrte dem Spiegel den Rücken.
Panik ergriff ihn. Jemand könnte gesehen haben, was im Schnellimbiss passiert war. Jemand könnte ihn beim Wegfahren beobachtet haben. Jemand im Hotel könnte ihn gesehen haben, als er mit blutbeschmiertem Gesicht zurückgekehrt war, oder könnte Blut an seinem Auto bemerkt haben.
Epinephrin strömte aus seinen Nebennieren und verliehihm die nötige Kraft für sein Werk, doch es trieb auch seinen Blutdruck in die Höhe und verengte schmerzhaft die Arterien, die sein Herz und sein Gehirn speisten.
Er klaubte eilig seine blutgetränkten Kleidungsstücke vom Fußboden zusammen, riss den Bezug von seinem Bett und stopfte alles in einen Müllsack. Dann duschte er, zog sich eine saubere Hose und ein Hemd an, griff sich ein nasses Handtuch und ging hinaus auf den Parkplatz in der Erwartung, dass sein BMW blutverschmiert sein würde, doch zu seiner Erleichterung machte er nur ein paar vereinzelte rubinrote Flecken am Lenkrad aus. Er wischte sie weg.
Er kehrte zitternd in sein Zimmer zurück und begann, auf und ab zu laufen. »Beruhige dich«, befahl er sich wieder und wieder. »Niemand wird an die Tür klopfen. Draußen hat kein Streifenwagen gestanden.«
Er schaltete den Fernseher ein, zappte durch die Kanäle und fand, wonach er suchte.
Eine junge, hübsche Fernsehreporterin stand vor dem Imbiss in Bitter Creek und interviewte einen Mann um die fünfzig mit einem Bierbauch, beginnender Glatze und Bartstoppeln in seinem aschfahlen
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