Psychopath
Billy
»Du hast Crack genommen«, sagte Solomon und machte sich Notizen.
»Nur ein einziges Mal«, sagte Billy
Clevenger hatte das Gefühl, sein Herz wäre in einen Schraubstock eingespannt, doch er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. »Ist das wirklich alles?«, fragte er Billy.
»Das ist alles«, erklärte Billy nachdrücklich.
»Ich verlasse mich auf dein Wort«, sagte Solomon, »bis du mir Grund gibst, daran zu zweifeln. Einverstanden?«
Billy nickte.
»Hast du in der Vergangenheit Phasen von Depression durchlebt?«, fuhr Solomon fort.
»Man kann es wohl eher eine einzige lange Phase nennen«, erwiderte Billy
»Bist du je stationär in einer psychiatrischen Abteilung oder medikamentös behandelt worden?«
»Einmal haben sie mich ins Krankenhaus gesteckt«, sagte Billy »Nachdem meine Schwester ermordet worden war.«
Solomon zuckte mit keiner Wimper. Wie jeder hatte er von Billy Bishop und dem Mord auf Nantucket gehört. »Hast du jemals an Selbstmord gedacht?«
Clevenger hoffte, Billy würde »Nein« sagen, hauptsächlich weil Billys Prognose dann besser wäre, aber zum Teil auch, weil er Billys geistige Gesundheit – oder den Mangel daran – unweigerlich als Urteil über seine Fähigkeiten als Vater verstand. Er war erst vor zwei Jahren in Billys Leben getreten,doch er wollte daran glauben, dass diese Zeit Einfluss auf Billys Psychopathologie gehabt habe.
»Zweimal«, antwortete Billy
Der Schraubstock zog sich enger um Clevengers Herz, doch er setzte ein Pokergesicht auf.
»Wann?«, fragte Solomon.
»Weiß nicht«, antwortete Billy »Vielleicht, als ich von der Schule flog. Ein paarmal so um den Dreh herum.«
»Und du hast überlegt ... was zu tun?«, wollte Solomon wissen.
Billy zuckte mit den Achseln. »Überdosis. Mir mit Koks oder so den goldenen Schuss zu setzen.«
Clevenger kniff fest die Augen zusammen, um das ungebetene Bild zu vertreiben, wie er Billy tot im Loft fand.
»Tut mir Leid«, sagte Billy
Clevenger öffnete die Augen und sah, dass Billy ihn anschaute. »Dir muss da nichts Leid tun, Kumpel«, versicherte er. »Mir tut Leid, dass ich dir diese Frage nicht selbst gestellt habe, als du so am Boden warst.«
»Ich hätt’s dir nicht gesagt«, erklärte Billy
»Denkst du jetzt daran, dir etwas anzutun?«, fragte Solomon.
»Nee, absolut nicht«, sagte Billy. Er erinnerte sich daran, was ihm durch den Sinn gegangen war, als Clevenger ihn zum Drogentest in Brian Strasnicks Klinik gefahren hatte, erinnerte sich an den brennenden Wunsch, Clevenger zu verletzen, indem er ihn zuschauen ließ, wie er aus dem Wagen sprang und auf der Straße aufschlug. Er sah Clevenger an. »Ich will weder mir noch meinem Dad je wieder wehtun«, sagte er. Und er meinte es ernst.
Jonah Wrens kam pünktlich um acht Uhr zur Arbeit. Er trug ein gestärktes lavendelfarbenes Hemd, eine perfekt gebundene blaue- und lavendelfarbene Krawatte, die obligatorische graue Flanellhose und Slipper. Er betrat die Schwesternstation, nickte der Sekretärin und der Oberschwester zur Begrüßung zu und setzte sich hin, um die Krankenblätter der Patienten, die ihm für die nächsten zwei Wochen zugeteilt waren, durchzusehen.
»Haben Sie von dem Mord gehört?«, fragte die Oberschwester, Liz Donahue.
Jonah sah sie an. Sie war zweimal geschieden, kinderlos, eine Frau in den Vierzigern, die schön hätte sein können, wäre sie nicht bulimisch gewesen. »Mord?«, fragte er.
Donahues freundlicher Gesichtsausdruck erlosch augenblicklich, und nur trübe Augen, eingefallene Wangen und katzendünne Lippen blieben zurück. »Im Imbiss in Bitter Creek?«
War der Argwohn, den er in ihrer Stimme hörte, reine Einbildung? Er schüttelte den Kopf.
»Eine Frau wurde geköpft«, sagte sie.
»Es ist so abscheulich«, stimmte die Stationssekretärin mit ein und drehte ihren Schreibtischstuhl zu Jonah und Donahue um. Sie war Anfang dreißig, mollig und trug einen blonden, geflochtenen Zopf, der bis zu ihrem Kreuz hinabreichte. »Manche Leute sind wirklich pervers. Ich hoffe, sie finden den, der das getan hat, und hacken ihm seinen verfluchten Kopf ab. Sie sollten ihn an einen Stuhl fesseln und sich richtig Zeit damit lassen. Und sie sollten ihn dazu zwingen, in einem Spiegel alles mit anzuschauen.«
In einem Spiegel?, wiederholte Jonah im Stillen argwöhnisch. War es möglich, dass die beiden wussten, was er getan hatte? Trug er das Gesicht eines Mörders? Er berührte seine Wange und schaute auf seine Fingerspitzen, um
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