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Psychopathen

Psychopathen

Titel: Psychopathen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Dutton
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das nicht funktioniert.
    Es bleibt mir nicht viel Zeit, mir eine glaubwürdige Erklärung auszudenken. Voldemort dreht bereits seine Runden und ist jetzt nur wenige Reihen vor uns, einen Haufen Mist über den Deutsch-Französischen Krieg in den Pranken.
    Johnny schnappt sich sein Opus und wirft einen bewundernden Blick darauf. Dann tätschelt er mir den Rücken, sieht aus dem Fenster und verzieht beim Anblick des Regens das Gesicht.
    »Außerdem«, fügt er hinzu, »wäre es sowieso zu spät gewesen, Kev. Ich denke, ich sollte relativieren, was ich gerade gesagt habe. Das, was von deiner Hausaufgabe übrig ist, befindet sich im Mülleimer. In Wirklichkeit hab ich sie verbrannt, Kumpel.«
    Sie fragen sich vielleicht, wieso in aller Welt ich bis heute mit Johnny befreundet bin. Und in nachdenklicheren Augenblicken frage ich mich das manchmal selbst. Aber vergessen Sie nicht, dass Johnny ein Psychopath ist. [20] Und Psychopathen haben,wie wir wissen, oft auch ihre Vorzüge. Zu Johnnys gehört u. a. die geradezu unheimliche Fähigkeit, sich praktisch jede Situation zunutze zu machen – was unter hochintelligenten Mitgliedern seiner Spezies nicht unüblich ist. Er gehört zweifellos zu den größten Überzeugungskünstlern, die mir je begegnet sind (und zu dieser Bruderschaft zähle ich einige der Top-Trickbetrüger der Welt). Nicht nur das, er ist, wie man wohl sagen könnte, geradezu ein Überzeugungs-Ausnahmetalent.
    Als wir fünf oder sechs Jahre alt waren, mussten Johnnys Eltern zu einer Beerdigung nach Kanada. Johnny blieb zu Hause und verbrachte den Silvesterabend bei uns. Gegen neun Uhr machten meine Eltern Andeutungen, dass es Zeit sei, ins Bett zu gehen. Andeutungen wie: »Es ist Zeit, ins Bett zu gehen.« Wie jeder Sechsjährige, der etwas auf sich hält, nahm ich das nicht klaglos hin.
    »Aber Mum«, maulte ich, »Johnny und ich wollen bis Mitternacht aufbleiben. Bitte ...«
    Davon wollte sie nichts wissen. Was mich natürlich nicht davon abhielt, mit einem Katalog an mildernden Umständen aufzuwarten, angefangen von der Tatsache, dass all unsere Freunde an Silvester lange aufbleiben durften (originell, was?), bis zu der tiefgründigen Feststellung, dass es Silvester nur einmal im Jahr gab. Johnny hingegen fiel durch sein Schweigen auf. Er saß, wie ich mich erinnere, einfach nur da und hörte zu, wie das Drama sich entfaltete. Nahm alles in sich auf wie ein Strafverteidiger und wartete auf den Moment zuzuschlagen.
    Schließlich hatte Mum genug. »Schluss jetzt. Es reicht!«, sagte sie. »Du weißt, was passiert, wenn du lange aufbleibst. Du wirstunleidlich und gereizt und am nächsten Tag kommst du vor Mittag nicht aus dem Bett.«
    Schweren Herzens, mutlos und mit einem schleichenden Gefühl der Resignation sah ich zu Johnny hinüber. Das Spiel war aus. Es war Zeit, gute Nacht zu sagen. Doch niemand hatte mit dem gerechnet, was als Nächstes passierte. Gerade als ich das Handtuch werfen und nach oben gehen wollte, brach Johnny das Schweigen.
    »Aber, Mrs Dutton«, sagte er, »Sie wollen doch wohl nicht, dass wir morgen schon in aller Herrgottsfrühe herumrennen, während Sie mit Kopfschmerzen im Bett liegen, oder?«
    Wir blieben bis drei Uhr auf.
Die dunkle Triade und die James-Bond-Psychologie
    Johnnys Fähigkeit, aus jeder Situation das Beste zu machen, leistete ihm schließlich gute Dienste. Er ging zum Geheimdienst.
    »Nicht nur die Besten schaffen es ganz nach oben, Kev«, sagte er. »Auch der Abschaum. Und weißt du was? Ich bin beides. Je nachdem, wonach mir gerade ist.« An einer solch brillanten Einsicht lässt sich wohl kaum etwas aussetzen.
    Dass Johnny einen Job beim MI5 bekam, überraschte niemanden. Und was immer er im Thames House tut, er macht seine Sache dem Vernehmen nach sehr gut. Seine Kaltblütigkeit, sein Charisma und seine dämonische Überzeugungskraft sind dergestalt, dass er einem selbst dann noch Honig um den Bart schmieren würde, wenn er einem eine Telefonschnur um den Hals gewickelt hätte, wie einer seiner Kollegen mir einmal auf einer Party erklärte.
    »Er würde dich mit seinem eigenen Heiligenschein erdrosseln«, sagte der Typ. »Und ihn dann wieder aufsetzen, als wäre nichts geschehen.«
    Er brauchte mich nicht davon zu überzeugen.
    Wenn Johnny Sie ein wenig an James Bond erinnert, ist das kein Zufall. Man kann sich leicht vorstellen, dass dieser andere ehrenwerte Angestellte im Geheimdienst Ihrer Majestät ebenfalls ein Psychopath sein könnte; dass die geheimnisvolle

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