Psychopathen
Niemand würde
ihnen
vorwerfen, dass sie schlechte Entscheidungen treffen. Und wie sah es mit der Leistung der »funktionellen Psychopathen« von Bechara, Shiv und Loewenstein aus? Und mit Frydmans Spitzengaunern? (Okay, Träger des MAOA-Gens zu sein, das zu Risikobereitschaft und Aggression disponiert, macht einen nicht automatisch zum Psychopathen. Aber die Verbindung ist eindeutig da.) Wie sich zeigte, hätten sie in gewissen Situationen höchstwahrscheinlich bessere Entscheidungen getroffen als Sie oder ich.
Vielleicht war es also genau das. Vielleicht brauchte die Gleichung nur ein wenig Schadensregulierung:
Funktioneller Psychopath = Psychopath – schlechte Entscheidungen
Eine zweite Meinung holte ich mir beim Psychopathenjäger Kent Kiehl ein. Kiehl ist Associate Professor für Psychologie und Neurowissenschaften an der Universität von New Mexico und Direktor des Mind Research Network in Albuquerque. Wie Sie sich angesichts seiner Berufsbezeichnungen sicher denken können, hatte er eine Menge um die Ohren, als ich ihn traf.
Tatsächlich war Kiehl gerade auf einem Roadtrip, als wir uns trafen. Und ist es immer noch. Nicht dem normalen Roadtrip, den Sie sich vielleicht vorstellen, sondern einem mit einem Truck auf 18 Rädern: einem Fahrzeug, das so groß ist, dass ich mich jedes Mal, wenn er einparkt, wundere, dass er keine Standgenehmigung braucht. Was er jedoch braucht, ist eine
Scanning -Genehmigung
– denn in seinem Truck befindet sich die Spezialanfertigung eines Magnetresonanztomographen im Wert von zwei Millionen Dollar. Kiehl karrt in New Mexico herum und besucht in dem Bemühen, das Geheimnis um die neuronale Basis der Psychopathie zu enträtseln, eine Reihe von staatlichen Strafanstalten.
Ich stellte ihm dieselbe Frage wie James Blair. Zahlt es sich zuweilen aus, ein Psychopath zu sein? Wie Blair war auch Kiehl vorsichtig.
»Es trifft sicher zu, dass psychopathische Merkmale in der Normalbevölkerung anzutreffen sind«, sagte er mir. »Doch der Unterschied bei denen am oberen Ende des Spektrums ist der, dass sie [die Furchtlosigkeit] in Situationen, in denen dies angebracht wäre, nicht abschalten können. Ein CEO scheut sich vielleicht nicht, in gewissen Geschäftsbereichen Risiken einzugehen, würde andererseits aber nachts nicht in einer gefährlichen Gegend herumlaufen wollen. Ein Psychopath ist nicht fähig, diese Unterscheidung zu treffen. Bei einem Psychopathen ist es alles oder nichts.«
Was unserer Gleichung einen dritten Faktor hinzufügt:
Was heißt, dass funktionelle Psychopathie letztlich kontextabhängig ist. Dass sie, in der Sprache der Persönlichkeitstheorie, ein »Zustand« im Gegensatz zu einem »Wesenszug« ist. Und dass sie unter den richtigen Umständen die Geschwindigkeit und Qualität der Entscheidungsfindung verbessern statt verschlechtern kann.
In den 1980er-Jahren kam der Soziologe John Ray zu einem ähnlichen Schluss. Ray postulierte eine umgekehrte U-Funktion als das passendste Modell für die Beziehung zwischen Psychopathie und Lebenserfolg (siehe Abb. 4.2). 94
»Sowohl ein extrem hoher als auch ein extrem niedriger Gradan psychopathischen Wesenszügen kann maladaptiv sein. Ein mittlerer Grad ist am adaptivsten. Die Aussage, ein hoher Grad an psychopathischen Wesenszügen sei maladaptiv, basiert natürlich darauf, dass klinische Psychopathen sich oft in Schwierigkeiten bringen. Die Aussage, ein niedriger Grad an psychopathischen Wesenszügen sei möglicherweise auch maladaptiv, basiert auf der Rolle, die allgemeiner Beobachtung zufolge bei Psychopathen die Angst spielt: Psychopathen scheinen keine Angst zu zeigen. Dass ein hohes Maß an Angst schwächt, muss wohl kaum betont werden. Bei einer normalen, nicht in eine Anstalt eingewiesenen Population verleiht die relative Immunität gegenüber Angst den Psychopathen vielleicht einen Vorteil.« 95
Abb. 4.2. Die Beziehung zwischen Psychopathie und Funktionalität (nach Ray & Ray, 1982)
Ironischerweise ist dies genau das, was Eyal Aharoni bei der kriminellen Bruderschaft feststellte. Weder ein hoher noch ein niedriger Grad an Psychopathie war ausschlaggebend für kriminellen Erfolg, sondern vielmehr ein moderates Level: etwas, das der Aufmerksamkeit von Bob Hare und Paul Babiak bei ihren weiterführenden Forschungen zum Thema Psychopathie in der Unternehmenswelt nicht entgangen ist.
Hare und Babiak haben ein Business-Scan (kurz B-Scan) genanntes Instrument entwickelt: einen auf Selbsteinschätzung basierenden
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