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Psychopathen

Psychopathen

Titel: Psychopathen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Dutton
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sie schließlich zu einem Teil der gesamten Kultur wurden.« 102
    Dies macht sowohl aus historischer als auch aus soziologischer Perspektive Sinn. Doch Pinkers Beobachtungen schließen auch eine Reihe von wichtigen Grundsätzen mit unmittelbareren Implikationen mit ein: subtile, soziobiologische Hinweise, die – nimmt man sie genauer unter die Lupe – möglicherweisedazu beitragen, ein interessantes kulturelles Paradoxon zu erklären und die erste unserer beiden Fragen zu beantworten: die Wahrnehmung einer Gesellschaft, in der einerseits ein Rückgang der Gewalt zu verzeichnen ist, die andererseits aber offensichtlich psychopathischer wird.
    Betrachten wir z. B. die Bedeutung, die in Pinkers Erläuterungen dem »kulturellen Schiedsrichter« als Wegbereiter des ideologischen Wandels zugemessen wird. In der Vergangenheit wären diese Schiedsrichter traditionell Geistliche gewesen. Oder Philosophen. Oder Dichter. In manchen Fällen sogar Monarchen. Da wir heute jedoch in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft leben und das virtuelle Universum sich immer weiter ausdehnt, haben wir es mit einer völlig anderen Spezies zu tun: mit Popstars und Schauspielern sowie Medien- und Videospielmoguln, die, statt Würde auszustrahlen, diese nun auf dem Altar der kreativen Schizophrenie opfern.
    Man braucht nur den Fernseher einzuschalten.
    Doch die kulturelle Weitergabe normativer Verhaltensweisen stellt nur eine Seite von Pinkers soziobiologischer Gleichung dar. Ihre Annahme seitens der Gesellschaft als konventioneller Verhaltenskodex, der dann irgendwann »zur zweiten Natur wird«, ist eine völlig andere Geschichte.
    Nehmen wir z. B. die Finanzindustrie. Gier und Korruption hat es im Big Business schon immer gegeben – von den Kriegsgewinnlern im amerikanischen Sezessionskrieg bis zu den Insiderhandel-Skandalen im kapitalistischen, thatcheristischen Großbritannien der späten 1980er-Jahre. Doch zusammen mit dem neuen Millennium wurde allem Anschein nach eine nie da gewesene Ära der Wirtschaftskriminalität eingeläutet. Investitionsschwindel, Interessenkonflikte, Fehlurteile sowie die Evergreens unter den unternehmerischen Partytricks, Betrug und Veruntreuung, haben ein nie da gewesenes Ausmaß angenommen.
    Unternehmensanalysten führen mehrere Gründe für das derzeitige verpestete Wirtschaftsklima an. Gier – das Rückgrat desGekkoismus – ist natürlich einer davon. Ein anderer das sogenannte »Guerilla-Accounting«. Während die Wall Street und die London Stock Exchange von immer weiteren Gewinnen ausgingen und die Geschwindigkeit und Komplexität der Geschäfte exponentiell zunahmen, wurden Verschleierung und das Beugen von Recht unumgänglich.
    »Angesichts von sehr viel komplexeren Wertpapieren, Buchhaltungsgepflogenheiten und Geschäftsvorgängen«, sagt der Wirtschaftsanwalt Seth Taube, »ist es viel leichter, einen Betrug zu verschleiern.« 103
    Clive R. Boddy, ehemals Professor an der Nottingham Business School, nimmt kein Blatt vor den Mund und behauptet in einer der letzten Ausgaben des ›Journal of Business Ethics‹, dass die Verursacher des ganzen Problems die Psychopathen seien. 104 Psychopathen, so erklärt Boddy mit Formulierungen, die an die von Bob Hare und Paul Babiak im vorherigen Kapitel erinnern, nutzen die »relativ chaotische Natur des modernen Unternehmens« aus, das durch »raschen Wandel, ständige Erneuerung« und eine hohe Fluktuation des »Schlüsselpersonals« gekennzeichnet ist. Diese Umstände ermöglichen es ihnen nicht nur, sich mithilfe einer Kombination von »extrovertiertem persönlichem Charisma und Charme« einen Weg in die Eckbüros großer Finanzinstitute zu bahnen, sondern sorgen auch dafür, dass »ihr Verhalten unsichtbar« bleibt, ja schlimmer noch, »sie lassen es so aussehen, als seien sie normale und sogar ideale Führungspersönlichkeiten«.
    Seiner Analyse zufolge sind diese Unternehmens-Attilas, sobald sie es an die Spitze geschafft haben, »fähig, das moralische Klima der gesamten Organisation zu beeinflussen« und »beträchtliche Macht« auszuüben.
    Boddy schließt seine Betrachtungen mit einer vernichtenden Anklage. Die Psychopathen, so sagt er, sind für die globale Finanzkrise verantwortlich, weil ihr »unbeirrbares Streben nach Selbstbereicherung und Selbstüberhöhung unter Missachtung aller anderen Erwägungen zur Aufgabe des altmodischen Konzeptsdes Noblesse oblige, der Gleichheit, der Fairness und einer echten unternehmerischen Sozialverantwortung

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