Psychopathen
was, ähm, noch wichtiger ist: Werden meine prothetischen psychopathischen Implantate mich noch kaltblütiger machen als Andy McNab?
Wieder auf diesem Stuhl festgeschnallt, muss ich dieselbe Horrorshow noch einmal über mich ergehen lassen. Dieses Mal ist es jedoch eine völlig andere Geschichte.
»Ich weiß, dass der Typ vor mir diese Bilder ekelerregend fand«, höre ich mich sagen. »Aber um ehrlich zu sein, fällt es mir dieses Mal schwer, ein Lächeln zu unterdrücken.«
Die Linien und Schnörkel bestätigen meine Beichte. Während der Grad meiner Erregung beim ersten Durchgang so groß war, dass es schon an ein Wunder grenzte, dass der hochmoderne EEG-Drucker nicht explodiert und in Flammen aufgegangen war, hat sich meine Hirnaktivität
nach
dem psychopathischen Umstyling erheblich verringert. Es sind vielleicht nicht ganz so sanfte Wellenlinien wie bei Andy. Doch da fehlt nicht mehr viel. Kein New Yorker Wolkenkratzer in Sicht.
Ähnlich sieht es mit der Herzfrequenz und der Leitfähigkeit der Haut aus. Was Letztere angeht, stelle ich Andys Wert sogar in den Schatten.
»Heißt das, es ist amtlich?«, frage ich Nick, als wir uns die Zahlen ansehen. »Kann ich zu Recht behaupten, dass ich kaltblütiger bin als Andy McNab?«
Er zuckt die Achseln. »Ich denke schon«, sagt er. »Im Moment jedenfalls. Aber du solltest diesen Zustand so gut wie möglich nutzen. Du hast noch eine Viertelstunde. Maximal.«
Ich schüttle den Kopf. Schon jetzt spüre ich, dass die Magie nachlässt. Dass der elektromagnetische Zauber seine Wirkung verliert. Ich fühle mich deutlich verheirateter als noch vor wenigen Augenblicken. Und ich bin wesentlich weniger geneigt, zu Nicks Forschungsassistentin zu gehen und sie auf einen Drink einzuladen. Stattdessen gehe ich mit Nick in die Studentenbar und stelle einen unglaublichen neuen persönlichen Rekord bei Gran Turismo [34] auf. Ich gebe die ganze Zeit Vollgas. Aber wieso auch nicht – es ist schließlich nur ein Spiel, oder?
»Im Moment würde ich nicht mit dir in einem richtigen Auto sitzen wollen«, sagt Nick. »Du bist definitiv noch ein bisschen aggressiv.«
Ich fühle mich großartig. Vielleicht nicht ganz so gut wievorhin im Labor. Nicht ganz so ... ich weiß nicht ... »unangreifbar«. Aber zweifellos obenauf. Das Leben scheint voller Möglichkeiten zu stecken: meine psychischen Horizonte scheinen erweitert. Warum sollte ich am Wochenende nicht zum Junggesellenabschied meines Kumpels nach Glasgow abhauen, statt nach Dublin zu fahren, um meiner Frau dabei zu helfen, ihre Mutter in einem Pflegeheim unterzubringen? Warum nicht genau das Gegenteil von dem tun, was ich normalerweise tun würde – und Scheiß drauf, was die Leute denken? Ich meine, was kann schlimmstenfalls passieren? In einem Jahr, ja sogar in einer Woche würde alles vergessen sein.
Wer wagt, gewinnt, stimmt’s?
Ich schnappe mir ein paar Pfund von unserem Nachbartisch – die jemand dort als Trinkgeld hat liegen lassen, aber wen interessiert das schon? – und versuche mein Glück an ein paar anderen Maschinen. Ich schaffe es bis 64 000 Pfund bei »Wer wird Millionär«, stürze dann aber ab, weil ich mich weigere, den 50:50-Joker zu nehmen.
Man hätte es wirklich nicht besser inszenieren können. Ich bin mir sicher, dass ›American Psycho‹ nach LA verlegt wurde und drücke trotz Nicks Vorbehalten lässig auf den Knopf.
Aber der Film spielt in New York.
»Ich habe gedacht, du würdest wenigstens das hinkriegen«, lacht er.
Dann tritt eine Veränderung ein. Und das ziemlich schnell. Beim zweiten Mal ist ›Gran Turismo‹ eine Enttäuschung. Ich bin plötzlich vorsichtiger und komme als einer der letzen ins Ziel. Und nicht nur das, ich bemerke eine Überwachungskamera in der Ecke und denke an das Trinkgeld, das ich eben eingesteckt habe. Um kein Risiko einzugehen, zahle ich es zurück.
Nick schaut auf die Uhr. Ich weiß, was jetzt kommt – er braucht es mir nicht zu sagen.
»Noch immer kaltblütiger als McNab?«
Ich lächle und kippe mein Bier herunter. Aber so ist das nun mal mit Psychopathen. Sie bleiben nie für lange. Sobald dieParty vorbei ist, ziehen sie weiter zur nächsten – ohne Rücksicht auf die Zukunft und noch weniger auf die Vergangenheit.
Und dieser Typ, der, wie ich annehme, zwanzig Minuten lang
ich
war, bildete da keine Ausnahme. Er hatte seinen Spaß gehabt. Und einen Drink umsonst bekommen. Doch nachdem das Experiment nun Geschichte war, machte er sich fröhlich auf den Weg
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