Psychopathen
Sowohl auf dem Spielfeld, als auch außerhalb des Spielfelds. Chelsea führt gegen Manchester Unitedmit 2:0 – und ich schaue mir, die Füße auf dem Tisch, in einer Ecke von Broadmoors völlig abgeschotteten DSPD-Stationen zusammen mit einer Gruppe von Psychopathen das Spiel an.
Die Atmosphäre auf der Station ist anders, als ich es erwartet hatte. Mein erster Eindruck ist der von einem extrem gut ausgestatteten Studentenheim. Helles, glattes Holz. Gut beleuchtet. Und sogar mit einem Pooltisch ausgestattet. Der heute mit einem Tuch zugedeckt ist – leider, denn es wäre nett gewesen, wenn ich mir das Fahrgeld für die Bahn hätte erspielen können.
Larry, ein grauhaariger, bärtiger, kugelrunder Typ, der mit seinem Fair-Isle-Sweater und der beigefarbenen Hose mit Gummizug aussieht wie jedermanns Lieblingsonkel – wobei es jedoch besser wäre, Herodes als Babysitter zu engagieren, sollten Sie vorhaben, abends auszugehen –, findet Gefallen an mir. Er hat genug vom Fußball.
»Weißt du«, sagt er, während er mir die Hand schüttelt und mich mit zugleich schläfrigem und stechendem Blick durchbohrt, »angeblich bin ich einer der gefährlichsten Männer im Broadmoor. Kannst du das glauben? Aber ich verspreche dir, ich werde dich nicht umbringen. Komm, ich führe dich ein bisschen herum.«
Larry begleitet mich zum anderen Ende der Station, wo wir einen Blick in sein Zimmer werfen. Im Grunde genommen sieht es aus wie jedes andere Einzelzimmer in einem Krankenhaus, wobei es jedoch mehr Annehmlichkeiten gibt. Wie zum Beispiel einen Computer. Platz für einen Schreibtisch. Und eine Menge Bücher und Papiere auf dem Bett.
Er spürt wohl meine Neugier und rückt ein weniger näher. »Ich bin seit zwanzig Jahren hier drin«, zischt er mir ins Ohr. »Da hat man verdammt viel Zeit, ähm« – er räuspert sich und lächelt verschwörerisch – »zur Verfügung. Verstehst du?«
Als Nächstes führt er mich zum Garten: einen von einer grauen Backsteinmauer umgebenen Innenhof von etwa der Größe eines Tennisplatzes mit Bänken und Nadelbäumen. Urteil: »Wird ein bisschen eintönig nach zwei Jahrzehnten.«
Verständlich. Wir gehen dann hinüber zum entgegengesetzten Ende der Station. Ihr Grundriss ist symmetrisch: sechs Zimmer auf der einen, sechs auf der anderen Seite, in der Mitte getrennt durch einen sauberen, aschgrauen Flur – und wir schauen bei Jamie vorbei.
»Dieser Typ ist von der Cambridge University«, verkündet Larry, »und er ist dabei, ein Buch über uns zu schreiben.«
Jamie kommt und baut sich an der Tür vor uns auf. Es ist eine klare Aufforderung zu verschwinden. Schnell weichen wir ein paar Schritte zurück. Jamie ist, wie sich herausstellt, ein völlig anderer Typ als Larry. Der Riese von 1,88 Metern mit den brutalen, dunklen Stoppeln und dem durchdringenden, eiskalten Blick hat die grüblerische, bedrohliche, satanische Ausstrahlung des einsamen, ultra-gewalttätigen Killers. Das Holzfällerhemd und die rasierte Platte runden das Bild ab.
»Worum geht es denn in diesem Buch?«, knurrt er in einem gangsterhaften Cockney, eingekeilt zwischen dem Türrahmen seines Zimmers, die Arme vor der Brust verschränkt, die linke Faust wie einen Kugelhammer unter dem Kinn eingeklemmt. »Denselben alten Schwachsinn nehme ich an? Sperr sie ein und wirf den Schlüssel weg? Du hast ja keine Ahnung, wie nachtragend das manchmal klingt. Und richtig verletzend, wenn ich das hinzufügen darf. Oder nicht, Larry?«
Larry wiehert theatralisch und presst in einer shakespeareschen Zurschaustellung von Angst die Hände ans Herz. Jamie tupft sich derweil imaginäre Tränen weg.
Es ist fantastisch. Genau das, weswegen ich hierhergekommen bin. Eine solch stoische Respektlosigkeit angesichts von unaufhörlichen Widrigkeiten könnten wir vielleicht alle ein bisschen öfter gebrauchen.
»Weißt du was, Jamie?«, erwidere ich. »Ich versuche, genau das Gegenteil zu tun. Ich denke nämlich, dass ihr Jungs uns etwas beibringen könnt. Dass wir von eurem Persönlichkeitsstil lernen können. In Maßen, natürlich. Das ist wichtig. Wie z. B., dass du gerade mit einem Achselzucken abgetan hast, was dieLeute möglicherweise von dir denken. Im Alltagsleben könnte das bis zu einem gewissen Grad ganz gesund sein.«
Jamie scheint der Gedanke, dass ich mir seinen Rat einholen könnte, zu amüsieren. Dass der Blickwinkel eines Psychopathen tatsächlich helfen könnte, die Dilemmata des Alltags mit anderen Augen zu sehen. Aber er ist
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