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Psychopathen

Psychopathen

Titel: Psychopathen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Dutton
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ihnen ein bisschen höher einzustellen? Wichtig ist, dass man sie dann auch wieder herabregeln kann.
    Ich beschloss, diese Theorie auf den Prüfstand zu stellen, und wollte dabei nichts unversucht lassen. Ich hatte vor, mehrere Krankenhäuser zu besuchen, um ein paar Kollegen zu interviewen. Und was, wenn ich auch in die Abteilungen ging? Wenn ich nicht nur mit den Ärzten, sondern auch mit einigen Patienten sprach? Sie mit den normalen Problemen des Alltags konfrontierte, dem Zeugs, über das wir im Pub jammern, damit ich sah, wie sie es einschätzten? Mit welchen Vorschlägen sie aufwarteten? Bis jetzt hatte ich es für eine gute Idee gehalten.
    »Professor Dutton?« Mein Gedankengang wird unterbrochen und ich schaue hoch und sehe einen blonden Typen Mittedreißig. »Hi, ich bin Richard Blake – einer der Teamleiter im Paddock Centre. Willkommen im Broadmoor! Soll ich Sie hinbringen?«
    Wir ziehen los und begeben uns immer tiefer in das labyrinthische Innere des Krankenhauses, durch eine Reihe Verbindungsflure und Niemandsland-Vorkammern wie die, von der aus wir gestartet sind – »Sicherheits-Luftblasen«, wie Richard sie nennt. Währenddessen erklärt er mir die goldene Regel des Broadmoor: Öffne nie eine Tür vor dir, bevor du die Tür hinter dir nicht geschlossen hast, und erzählt mir ein bisschen genauer, wohin wir unterwegs sind.
    Das Paddock Centre ist eine geschlossene, hoch spezialisierte Abteilung für Persönlichkeitsstörungen, die sechs Stationen mit jeweils zwölf Betten umfasst. 134 Rund 20 Prozent der dortigen Patienten sind das, was man als »reine« Psychopathen bezeichnen könnte. Sie sind zur Behandlung und ständigen Beurteilung auf zwei speziellen Stationen untergebracht: den Stationen für Patienten mit einer Dangerous and Severe Personality Disorder (DSPD, gefährlichen und schweren Persönlichkeitsstörung). Der Rest leidet an Störungen, die sich den drei sogenannten »Clustern« zuordnen lassen: Sie zeigen klinisch signifikante psychopathische Merkmale (dokumentiert durch eine mäßig hohe Punktzahl bei der PCL-R), begleitet von zusätzlichen Merkmalen, die typischerweise mit anderen Persönlichkeitsstörungen einhergehen – Borderline, Paranoide und Narzisstische Persönlichkeitsstörung zum Beispiel. Oder aber Merkmale, die eher auf eine primär psychotische Symptomatologie wie z. B. Wahnvorstellungen oder Halluzinationen hinweisen.
    Plötzlich wird mir klar: Der Ort, zu dem ich gerade unterwegs bin, ist keine Anlaufstelle für Espresso schlürfende skrupelbehaftete Vertreter unserer Spezies. Dies ist die Drachenhöhle, das innere Heiligtum der Alkohol saufenden, skrupelfreien
Un
gesunden – die Domäne unheilvollster Ausprägungen der Neurochemie mit Gehirnzuständen, die buchstäblich auf MessersSchneide stehen. Der Yorkshire Ripper befindet sich hier drin. Ebenso der Stockwell Strangler. Es ist eines der gefährlichsten Gebäude der Welt.
    »Ähm, es wird mir doch nichts passieren, oder, Richard?«, krächze ich, als wir plötzlich rechts von einem großen Freiluft-Bereich auftauchen, der von Stacheldraht übelster Sorte gesichert ist.
    Richard grinst. »Keine Sorge«, sagt er. »Auf den DSPD-Stationen gibt es selten Probleme. Psychopathische Gewalt ist überwiegend instrumentell, ein direktes Mittel zu einem bestimmten quantifizierbaren Zweck. Was heißt, dass sie in einer Umgebung wie dieser weitgehend verhindert werden kann. Und dass sich die Situation, sollte es doch mal zu Gewalt kommen, leicht wieder unter Kontrolle bringen lässt. Unvorhergesehenes passiert eher auf den Stationen mit den psychotischen Patienten. Sogar im Vergleich mit Patienten, die unter anderen Persönlichkeitsstörungen leiden, ist der Umgang mit Psychopathen leichter. Aus irgendeinem Grund lassen sie sich leichter zu täglichen Aktivitäten bewegen als z. B. Borderliner oder Paranoide. Vielleicht liegt es daran, dass sie sich schnell langweilen: Sie sorgen gern dafür, dass sie Unterhaltung haben. Außerdem«, fügt er mit einem ganz leichten Vorwurf in der Stimme hinzu, »ist es jetzt ein bisschen spät, um noch umzukehren, oder?«
Bekanntschaft mit den Einheimischen
    »Wir sind die böse Elite«, sagt Danny, als er sein zweites Tor für Chelsea reinknallt, einen kraftvollen Kopfstoß vom Rand des Sechs-Meter-Bereichs. »Verherrliche uns nicht. Aber geh auch nicht den anderen Weg und fang an, uns zu entmenschlichen.«
    Er hockt hinter seinem Nintendo Wii und wirft mir einen Blick zu. Es läuft gut.

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