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Psychopathen

Psychopathen

Titel: Psychopathen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Dutton
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Fokussiertsein, vor allem, wenn es darum geht, zu kriegen, was man will. Der Meister erkannte schon sehr früh, dass das, was in seinem Kopf vorging, anderen Prinzipien gehorchte als bei den meisten Menschen – und nutzte dieses Wissen zu seinem eigenen Vorteil.
    »Als Kind hab ich es in der Schule gern vermieden, handgreiflich zu werden«, erzählt er mir. »So, wie ich es auch als Erwachsener vermeide. Ähnlich wie Jamie, nehme ich an.«
    Jamie lächelt selbstzufrieden.
    »Weißt du, ich hab schon ziemlich früh rausgefunden, dass die Leute ihren Willen deswegen nicht kriegen, weil sie oft selbst nicht wissen, was sie tatsächlich wollen. Sie lassen sich zu stark vom Augenblick mitreißen und kommen vorübergehend vom Weg ab. Und genau an diesem Punkt ändert sich die Dynamik. Nun geht es auf einmal nicht mehr nur darum, zu bekommen, was man will. Sondern dabei
gesehen
zu werden, dass man bekommt, was man will. Zu gewinnen.
    Jamie hat eben übers Boxen geredet. Ich hab mal ein großartiges Zitat von einem der Spitzentrainer gehört. Er hat gesagt: Wenn du in dem Moment, in dem du in den Ring steigst, völlig besessen davon bist, deinen Gegner auszuknocken, wirst du aller Wahrscheinlichkeit nach scheitern. Wenn du dich jedoch darauf konzentrierst, den Kampf zu gewinnen, dich einfach darauf fokussierst, deinen Job zu machen, ja dann knockst du ihn vielleicht sowieso aus.«
    Leslies Worte leuchten mir ein und erinnern mich an eine mehrere Jahre zurückliegende Begegnung – eine, in der leicht Rache und Gewalt ins Spiel hätten kommen können, doch Charme und Fokussiertheit den Sieg davontrugen.
    Mit einer Größe von 1,96 Metern und einem Gewicht von 108 kg war Dai Griffiths nicht gerade wie ein griechischer Gott gebaut. Nach 23-jährigem ununterbrochenem Dienst bei derbritischen Polizei und einer Punktzahl beim PPI, die wahrscheinlich höher war als die der meisten Typen, die er festnahm, hatte er so ziemlich alles erlebt.
    »Zwanzig Prozent der Leute, die durch diese Türen kommen«, sagte er mir und deutete auf den Eingang zum Vernehmungsbereich, »nehmen 80 Prozent unserer Zeit in Anspruch.« Womit er natürlich sagen wollte, dass Wiederholungstäter sehr nervig sind.
    Wiederholungstäter wie Iain Cracknell zum Beispiel.
    Cracknell gehörte zu der Sorte, die man als Berufssäufer bezeichnen könnte. Mit der Genauigkeit eines Uhrwerks wurde er freitag- oder samstagabends mit einer goldenen Zukunft hinter sich auf die Polizeiwache gebracht.
    Normalerweise hatte er eine Flasche Jack Daniel’s intus. Und Gott weiß wie viele Flaschen Bier.
    Was dann routinemäßig ablief, war so gut choreografiert, dass ›Schwanensee‹ daneben wie Laienballett wirkte. Zuerst fing Cracknell an, »verrückt« zu spielen. Dann wurde ein Psychiater gerufen (wie das Gesetz es verlangt), um seinen Geisteszustand einzuschätzen. Doch als der eintraf, war Cracknell – Überraschung, Überraschung – wieder normal. Betrunken, ja. Aber eindeutig nicht verrückt. Der Psychiater ging wieder, murmelte irgendwas über die Inkompetenz der Polizei und die unchristliche Zeit, und Cracknell, der sich vor Lachen bepisste, wurde in eine Zelle gesteckt, um seinen Rausch auszuschlafen. Und beim nächsten Mal passierte wieder genau dasselbe.
    Das Problem mit Cracknell schien unlösbar zu sein. Wie nur konnte man ihn dazu bringen, mit seinen ewigen Psychospielchen aufzuhören? Die Sache war (wie bei den meisten Wiederholungstätern) natürlich die, dass er das System besser kannte als jeder andere. Und wusste, wie er sich verhalten musste. Was hieß, dass man nur zwei Möglichkeiten hatte. Entweder nahm man ihn erst gar nicht fest. Oder man trug die Folgen, wenn man es doch tat – normalerweise eine Standpauke von einem völlig genervten Psychiater.
    Und das war’s, wie es schien.
    Bis Griffiths eines Abends eine Idee hat. Nachdem er Cracknell in dessen gewohnte Wochenendbleibe verfrachtet und wie üblich nach dem diensthabenden Psychiater geschickt hat, geht er zum Spind mit den Fundsachen. Kurze Zeit später schlurft er in Clownsaufmachung – Haare, Rouge, Nase, Glöckchen – durch den Flur und schaut wieder bei Cracknell vorbei.
    Was, erkundigt Griffiths sich, hätte er am Morgen gern zum Frühstück?
    Cracknell kann es, milde gesagt, nicht glauben. Wenn er Glück hat, bekommt er manchmal ein Glas Wasser. Nicht einmal ein Glas: einen Styroporbecher. Jetzt rollt man ihm den roten Teppich aus. Er kann sein Glück nicht fassen.
    »Und wie möchten

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