Pubertät – Loslassen und Haltgeben
diesbezüglich von einer «Grundanforderung in der weiblichen Normalbiographie». Zudem bevorzugen Mädchen soziale, erzieherische undkaufmännische Berufe. Sie wählen ganz offensichtlich ein bestimmtes, ganz persönliches Anforderungsprofil. Wenn Mädchen betonen, einen Beruf zu suchen, der «etwas mit Menschen zu tun haben muss», dann drücken sie so auch weibliche Identität aus. Es geht Mädchen nicht allein um das Geldverdienen, sondern auch darum, sich zu finden:
Für Mädchen muss eine spätere Vereinbarung mit einer möglichen Mutterrolle gewährleistet sein;
sie müssen sich mit dem Beruf identifizieren und in ihm wiederfinden;
nicht zuletzt ist wichtig, wie das soziale Umfeld den Berufswunsch bewertet. Mathematisch-technische Berufe oder Tätigkeiten mit längeren Ausbildungsvorläufen werden häufig – unter Verweis auf die spätere Familie – negativ bewertet.
TEIL IV
PUBERTÄT UND IHRE RISIKEN
NEURONEN UND HORMONE – DAS GEHIRN VERÄNDERT SICH
«Als mein Sohn in die Pubertät kam, so mit zwölf Jahren», erinnert sich Herbert Albrecht, «da dachte ich, die ganze Erziehung davor sei für die Katz gewesen. Ich hab gedacht, der tickt nicht mehr richtig.» Er schüttelt den Kopf. «Der war völlig unzugänglich, vergesslich, aufbrausend, beleidigt.» Herbert Albrecht schmunzelt. «Jetzt ist er achtzehn. Ein prima Kerl. Wenn man das vorher gewusst hätte», er stockt, «dann könnte man das eher aushalten.» Er wirkt mit einem Mal nachdenklich. «Trotzdem bleibt mir das ein Rätsel. Diese merkwürdige Veränderung! Das kann doch nicht allein an uns Eltern liegen? Oder doch?»
Charlotte Beier schmunzelt, als sie das hört. «Bei meiner Elena war es ähnlich. So um den elften Geburtstag herum erklärt sie mir, sie käme nun in die Pubertät. Und wir sollten uns da auf einiges gefasst machen. Und drei Jahre hat sie uns einiges geboten: Mal blieb sie nachts weg, zweimal war sie sturzbetrunken, nicht gewaschen, Haare gefärbt, die Schule war ihr egal.» Charlotte Beier schaut sehr ernst drein. «Wir waren peinlich, die letzten Spießer! Ich bin zur Beratung gegangen. Die haben mir Schuldgefühle genommen, dass ich versagt habe. Aber das half nur ein paar Tage. Wenn dann wieder Zoff herrschte, fühlte ich mich hilflos, ohnmächtig, meiner Tochter ausgeliefert. Irgendwie schien sie mir nicht von dieser Welt zu sein.» Ein breites Grinsen setzt sich in ihrem Gesicht fest. «Und am 15. Geburtstag kam sie zu mir, nahm mich in den Arm und meinte: ‹Genug gelitten, Mama!› Da hab ich geheult.» Charlotte Beiers Augen werden feucht. «Da hat sie mich noch fester an sich gedrückt: ‹Aber mir ging es auch absolut scheiße!›»
Elenas Mutter schüttelt den Kopf. «Und mit einem Mal warder Spuk vorbei. Diese plötzliche Veränderung vom lieben Mädchen zur grässlichen Zicke, wo du denkst, das kann nicht dein Kind sein, und dann diese Wandlung zur jungen Frau, das alles ist mir ein Rätsel und wird es auch bleiben!» Sie stockt einen Moment, sagt dann: «Ob das bei mir auch so war? Vielleicht?» Sie lacht. «Und ich habe meine schlimme Phase nur vergessen, und meine Eltern haben sie verdrängt!»
Spricht man mit den Eltern, die Pubertierende ins Leben begleiten oder schon begleitet haben, tauchen einige Argumentationsmuster immer wieder auf:
Da herrscht eine erhebliche Verunsicherung darüber, warum sich Heranwachsende mit einem Mal so merkwürdig gebärden. Zwar führen die Eltern das auf das Phänomen «Pubertät» zurück, aber was in der Phase konkret geschieht, darüber weiß man nicht viel. Zwar gibt es einige Vermutungen, doch führen diese nicht zu mehr Souveränität im erzieherischen Handeln.
Genauso wenig, wie man sich die Vehemenz erklären kann, mit der die Pubertät eines Kindes in das Familienleben einbricht und plötzlich nichts mehr so ist, wie es mal (vermeintlich) war, genauso wenig hat man Erkenntnisse darüber, warum der Spuk vorübergeht, man mit einem Mal keinen «Außerirdischen», sondern einen normalen jungen Erwachsenen vor sich hat, der Argumenten wieder zugänglich ist.
Hatte man die körperlichen und psychischen Veränderungen, die für die Pubertät so kennzeichnend sind, jahrzehntelang allein auf hormonelle Prozesse zurückgeführt, so haben Kinderpsychiater wie Jay Giedd durch ihre neurologischen Forschungen ein weiteres, nicht unwichtiges Modell geliefert, um das Handeln von Pubertierenden angemessener zu erklären und Heranwachsende damit besser zu
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