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Pubertät – Loslassen und Haltgeben

Pubertät – Loslassen und Haltgeben

Titel: Pubertät – Loslassen und Haltgeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Uwe Rogge
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Hausaufgaben. Ich habe mit Thomas vereinbart, dass er den Zeitpunkt dafür selbst bestimmen kann. Ich meine, er ist groß genug.»
    «Damit ist er absolut überfordert», wirft Thomas’ Vater ein, «das siehst du ja. Oder du willst es nicht sehen. Er ist doch nur aufs Vergnügen, den Spaß, aus. Dann macht er seine Aufgaben nicht oder spät in der Nacht.» Er blickt seine Frau vorwurfsvoll an: «Du hilfst ihm noch dabei, wenn er was nicht schafft. Du unterstützt seine Schlamperei, und die Folgen sind schlechte Schulleistungen. Willst du das etwa leugnen? Bei mir gibt’s so was nicht. Erst die Arbeit und dann das Vergnügen. Damit bin ich gut gefahren. Und du schließlich auch!»
     
    Thomas’ Mutter hört ihrem Mann geduldig zu: «Ich denke, es hat schon funktioniert. Aber du machst mit deiner impulsiven Art vieles schwieriger. Nun weiß der Junge nicht mehr, woran er ist. Ich spreche mit ihm etwas ab, dann kommst du nach Hause und wirfst alles über den Haufen. Aber eben auch nicht immer. Das hängt letztlich davon ab, wie du gelaunt bist.» Sie lächelt. «Dass Thomas das ausnutzt, ist doch klar. Wir machen es ihm relativ leicht.»
     
    Thomas’ Mutter hat hier einen wichtigen Gesichtspunkt angesprochen. In elterlichen Auseinandersetzungen über unterschiedliche Erziehungsstile steht schnell die Frage im Mittelpunkt, welche Haltung denn die «allein richtige» sei oder wer «recht habe». Man streitet sich und übersieht dabei: Kinder und Jugendliche können mit unterschiedlichen Erziehungsauffassungen sehr wohl umgehen. Es ist sogar eine zentrale Entwicklungsaufgabe, dass Heranwachsende lernen, sich verschiedenen Menschen gegenüberzusehen, die spezifische Einstellungen haben. So erfahren Kinder im Kindergarten, Hort oder in der Schule, dass manches von dem, was zu Hause möglich ist, dort nicht läuft. Oder sie erleben: Der Kontakt zu den Eltern ist ein anderer als zur Kindergärtnerin oder zum Lehrer, der zu den Großeltern ein anderer als der zu Bekannten. Das Kind vergleicht Erziehungsstile,es bewertet sie. Die Begegnung mit differierenden Erziehungsstilen macht Heranwachsende lebenstüchtig, sie bildet Selbstbewusstsein und -vertrauen aus, sich in unterschiedlichen Alltagssituationen zurechtzufinden. Dies trifft auch dann zu, wenn es um Unterschiede in den Erziehungsauffassungen von Vater und Mutter geht.
    Doch müssen Heranwachsende sicher sein, an wen sie sich in bestimmten Situationen halten können. Es muss klar sein, wer die Verantwortung in der konkreten Alltagssituation trägt. Dies stellt das entscheidende Problem bei Thomas’ Eltern dar. Die Mutter trifft Absprachen, ist mithin die Verantwortliche, der Vater schmeißt ihre Zuständigkeit – inkonsequent, weil je nach Tagesform – über Bord, fühlt sich dann aber nicht mehr zuständig. Dazu Thomas’ Mutter: «Dann schreit mein Mann rum. Mein Sohn schließt sich im Zimmer ein, und ich versuche, die Stimmung in der Familie zu verbessern. Ganz schlimm ist es, wenn mein Mann Thomas damit droht, ihm eine Woche lang das Fernsehen zu verbieten. Und ich soll dann seine Strafe auch noch kontrollieren.» Ganz trotzig fügt sie hinzu: «Mach ich aber nicht!»
    Wechselt die Verantwortlichkeit in einer Erziehungssituation, geht sie – ohne Absprache und für Heranwachsende uneinsichtig – von einer Person zur anderen über, ist Orientierungslosigkeit die Folge. Heranwachsende nutzen elterliche Uneinigkeit aus, sie spielen die Beteiligten gegeneinander aus. Um nicht missverstanden zu werden: Ich plädiere nicht dafür, auf die Austragung von Meinungsverschiedenheiten vor Kindern unbedingt zu verzichten. Das können sie dann sehr wohl aushalten, wenn ihnen die elterlichen Positionen klar sind und wenn sie versöhnliche Konfliktlösungen erleben. Wenn man mit der Erziehungshaltung des Partners oder der Partnerin nicht einverstanden ist, kann man dies in einer ruhigen Minute im Nachhinein diskutieren. Auseinandersetzungen in der konkreten Situation führen jedochmeist nur zu Schuldzuweisungen oder ergebnislosen Rechtfertigungen.
    Unterschiedliche Einstellungen dürfen nicht dazu missbraucht werden, sich beim Heranwachsenden einzuschmeicheln: «Bei mir darfst du mehr als bei   …», oder eine andere Person emotional herabzusetzen: «Ich bin netter zu dir als   …» Dies bringt Kinder in große Loyalitätskonflikte. Unterschiedliche Einstellungen sollten ebenfalls nicht dazu eingesetzt werden, sich als besserer Erzieher, der Strengere, der Konsequentere

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