Puck
wurden zum Luftschutzdienst eingeteilt und schlugen sich, mit Löschgerät behangen, die Nachtstunden um die Ohren. Ich war froh, jede Nacht Redaktionsdienst zu haben, hatte mir ein Fahrrad angeschafft und strampelte damit mühsam jede Nacht heim. Ich wollte unabhängig sein, wenn die Luftangriffe einsetzten. Wir stellten sie uns so apokalyptisch vor, wie sie erst vier Jahre später wurden.
Zunächst aber ereignete sich gar nichts, während Hitlers Armeen in Polen vorwärts stürmten. Jede freie Minute am Tage und an den Abenden, an denen ich zu Hause blieb, ging ich mit Puck spazieren und erwarb mir damals bei den Bewohnern der Laubenkolonie, die neben den Möbelwagen lag, den Beinamen >Der Herr mit dem weißen Hund<. Ich war mit den Koloniebewohnern in geschäftliche Beziehungen getreten und erbte von ihnen ab und zu ein Ei oder das Innere eines Huhnes oder Karnickels gegen Tabak, abgelegte Handschuhe und ähnliches.
Puck entwickelte für diese Transaktionen ausgesprochenes Verständnis. Er schien ganz genau zu wissen, daß sie ihm zugute kamen. Er war ganz Charme und braves Hündchen und erfreute sich allgemeiner Beliebtheit. Sogar die Karnickel hatten sich an ihn gewöhnt, der in seliger Versunkenheit stundenlang vor ihren Käfigen saß. Selbst die hysterischsten Hennen kümmerten sich nicht mehr um ihn.
Ein süßes, artiges Kerlchen, das war das allgemeine Urteil über ihn, und mancher Knochen, mancher Kanten alten Brotes fiel für ihn ab, wenn er sich selbst zu den verschiedenen Kaffeeklatschen einlud und mit hochgereckter Struppelschnute und ergeben verknuckelten Ohren dabeisaß. Als er gar ein paar Ratten erlegte, begann man ihn in der Kolonie ernsthaft als einen nützlichen Faktor in Betracht zu ziehen.
Das schönste aber für uns beide war ein abendlicher Spaziergang rings um den Block. Die Verzerrung aller Konturen, die Nacht, die die Sterne größer und alles übrige zum Geheimnis machte, wurde zum unvergeßlichen Erlebnis.
An einem dieser Abende nun fingen plötzlich die Sirenen an zu heulen. Da keine Probealarme mehr stattfanden, war es also ernst. Wo war Puck? Ich rief, er kam nicht. Ich schrie nach ihm, starrte alle paar Sekunden in den bestirnten Himmel, aus dem jeden Moment die krachende Vernichtung fallen konnte. Schließlich sah ich einen hellen Schatten auf den Stufen zum Hauseingang. Er saß da, wackelte mit den Hosen und sah mich verwundert an: Was schreist du eigentlich so, bin doch hier! Da er mit seinen Nachtaugen mich sah, mußte ich, sein Gott, ihn doch erst recht sehen!
Willi Meier, der Hausmeister, stand, ganz auf Krieg kostümiert, vor unserer Tür. Stahlhelm, Gasmaske und Schutzanzug machten den Riesenbrocken von Kerl noch riesenhafter.
»Mein Gott, wo bleiben Sie denn? Schnell in den Keller! Es kann doch jeden Moment losgehen! Und die Wohnungstür auflassen! Haben Sie Ihr Luftschutzgepäck? «
»Jaja, nun gehen Sie bloß schon«, sagte Frauchen. Und als er verschwunden war, zu mir: »Wohnungstür offenlassen! Kommt gar nicht in Frage. Was wird mit Pucki?«
»Was soll denn mit ihm werden? Wir nehmen ihn mit. Entschuldige mich.« Damit entschwand ich in Richtung Toilette. Auf der zweiten, stellte ich fest, hatte sich Dora eingenistet. Trotz künstlicher Forschheit war es, wie ich merkte, den meisten auf den Darm geschlagen. Von meinem Thron aus hörte ich im ganzen Haus, aus allen Stockwerken, Wasserrauschen, Türenschlagen, ungeduldige Rufe. Ich nahm Frauchen und Dora Puck und das Gepäck ab. Gerade, als die Gefährtin die Wohnung zweimal abschloß, kam Meier wie ein angeschossener Eber aus dem Keller nach oben gesaust. Frauchen steckte das Kinn vor und bereitete sich offensichtlich zur Verteidigung des Abschließens vor, aber er beachtete sie gar nicht. Wir hörten ihn in seine Wohnung stürzen und gleich darauf das Wasser rauschen.
Als wir eben am Kellereingang anlangten, heulte es zur Entwarnung. Puck hörte sich das Dämonengeheul aufmerksam an. Er sang ein paar Takte mit, schwieg dann aber und drückte sich an mich, ab wir in unser Heim zurückkehrten. Mir war, als kämen wir aus einer anderen Welt wieder, einer Welt des makabren Nervenkitzels, der todgeladenen und endlosen Nacht. Unser Heim, unser Licht — hell und einladend hinter den Luftschutzvorhängen — , plötzlich war mir das alles nah und teuer. Wie lange durften wir noch besitzen, was wir mit jahrelanger Mühsal aufgebaut hatten?
»Hauptsache, wir und Puckchen kommen durch!« sagte die Gefährtin, als habe
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