Puck
die weißen Fahnen heraushängen. Noch in der Nacht, gleich nach dem Vergraben der Gewehre, hatten sie die beiden letzten >Deppen<, die eventuell geschossen hätten, unschädlich gemacht. Der Ortsgendarm ließ sich freiwillig ins Gefängnis sperren, und ein einsamer Feldjäger, der mit seiner Pistole herumfuchtelte und sich die letzten Tage noch an der Bahnhofssperre reichlich wichtig gemacht hatte, war von Soldaten >behandelt< worden und lag jetzt im Krankenhaus.
Alois stand auf, ich gab ihm unsere Lebensmittelkarten. Er erklärte uns ernst, daß man keine Vorstellung habe, wann es wieder etwas gäbe: »Leutl, seid sparsam!« Er sah die beiden Hunde an, die sich an seinen Knien angesiedelt hatten — Puck noch etwas schief, aber schon wieder wedelnd, Susi dicht an ihn geschmiegt — , streichelte ihre Köpfe, seufzte, sagte aber nur: »I hol des Zeug gleich ab und schick den Bubn damit afi. Pfüat euch!«
Die Frauen zogen sich richtig an, dann nahmen das Frauchen und ich uns Pucki vor. Wir lüfteten vorsichtig die Verbände. Die Wunden waren schon verschorft. Nur eine, an der rechten Schulter, näßte noch.
Dann ging ich bergauf, zum Holzstapel des Schreyvogl, lud mir einen tüchtigen Brocken auf und stieg wieder hinab. Puckchen hatte es sich nicht nehmen lassen, das Herrchen zu begleiten. Er hinkte mir überallhin nach. Während ich den Sägebock ins Freie zerrte und mit meiner gequetschten Hand das Holz zu zerkleinern begann, saß er mit hängenden Ohren dabei. Einmal machte er den Versuch, die nässende Schulterwunde zu lecken. Er fiel dabei um. Ich kniete mich zu ihm und richtete ihn vorsichtig wieder auf.
Plötzlich waren Stimmen im Haus. Die Tür zum Hof flog auf, und die Gefährtin kam mit aufgerissenen Augen herausgestürzt: »Die Fahne — sie haben die weiße Fahne am Kirchturm gehißt!« Ich sprang auf, mir wurde schwindlig. In diesem Augenblick kam der Bub vom Alois mit dem Lebensmittelsack über der Schulter. Er warf ihn neben mir in den Schnee: »D’ Amis komma!« Und weg war er.
Mit Hilfe der Frauen nahm ich den Sack und versteckte ihn im Heu der Mulis. Sie malmten gemütlich und sahen sich mit gespitzten Ohren nach uns um. Dann rochen sie neugierig an Pucki, der sie stumm anfletschte und vor ihren Hufen zurückwich. Offensichtlich war ihm nicht nach Streit zumute.
Ich ließ mir das Fernglas von der alten Dame geben und rannte in den Erker. Der Ort in der Tiefe schien unverändert. Nur daß die Straßen wie leergefegt waren, alle Türen und Fenster geschlossen. Manchmal huschte jemand schnell über die Straße und verschwand auf der gegenüberliegenden Seite. In der Nacht hatte es mächtig getaut, und die Straße, die aus dem Tal auf die jenseitige Höhe führte, war wieder als helles Band zwischen grünen Wiesen erkennbar. Oben am Rand standen ein paar kleine schwarze Figuren. Jetzt schwenkten sie eine weiße Fahne.
»Das wird der Bürgermeister sein und vielleicht auch der Alois«, sagte die Professorin.
Und dann tauchte oben am Hügel ein graues Monstrum auf, hielt bei den schwarzen Figuren an und schwenkte ein langes Geschützrohr in unsere Richtung. Ein Haufen kleiner grauer Figuren, die oben auf dem Panzer gehockt hatten, sprang ab und stellte sich um die schwarzen Figuren. Es gab ein kurzes Palaver, dann wurden die schwarzen Figuren auf den Panzer geladen, und das Monstrum setzte sich wieder in Bewegung. Hinter ihm, den ganzen Höhenkamm entlang, tauchten weitere Panzer auf. Manche fuhren schief querfeldein, offenbar um den Ort zu umzingeln. Die meisten anderen schwenkten hinter dem ersten in den Ort ein. Dahinter folgte eine endlose Kolonne von Wagen mit Soldaten, die nicht sehr besorgt schienen. Zwischendurch zwängten sich Jeeps mit flatternden Fähnchen. In zehn Minuten war das ganze Gelände vor dem Städtchen von der Armee überflutet. Die Straßen begannen sich zu füllen. Hunderte von Zwangsarbeitern schrien mit erhobenen Armen, als die ersten Jeeps, gefolgt von den Panzern, in die Straßen einfuhren. Auch einige Haustüren öffneten sich vorsichtig, und Kinder schlüpften heraus.
Ich beobachtete einen der Jeeps, der bei einer Kindergruppe hielt. Er hatte einen weißen Wimpel, und zwei Uniformierte mit weißen Armbinden stiegen heraus. Die Kinder zeigten auf unseren Berg. Ein Bub stieg in den Jeep, der sich wieder in Bewegung setzte. »Das sieht ja aus, als ob sie zu uns kämen«, sagte die Professorin heiser. »Ich hätte nicht erlauben sollen, daß man die Flinten hier oben
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