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Puls

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Titel: Puls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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von mehreren tausend Quadratmetern zivilisierten (und weitgehend verlassenen) Asphalts entfernt in einem schlammigen Graben stecken geblieben war. Rechts lag eine Frau mit durchbissener Kehle und von Vögeln zerpicktem Gesicht, das nur noch aus schwarzen Löchern und blutigen Sehnen bestand. Sie trug noch immer ihre Baseballmütze mit dem Emblem der Portland Sea Dogs, hatte weiter ihre Schultertasche umhängen.
    Geld interessierte Mörder nicht mehr.
    Tom legte Clay eine Hand auf die Schulter und erschreckte ihn dadurch. »Hör auf, dir auszumalen, was alles passiert sein könnte.«
    »Woher weißt du …«
    »Dazu muss man kein Gedankenleser sein. Wenn du deinen Sohn findest - das ist zwar unwahrscheinlich, aber falls du's tust -, erzählt er dir bestimmt die ganze Geschichte. Sonst . spielt's dann eine Rolle?«
    »Nein. Natürlich nicht. Aber, Tom . ich habe George Gendron gekannt. Die Jungs haben ihn manchmal Connecticut genannt, weil seine Eltern von dort hergezogen sind. Er hat bei uns im Garten Würstchen und Hamburger gegrillt. Sein Vater ist oft rübergekom-men und hat sich mit mir die Spiele der Patriots angesehen.«
    »Ich weiß«, sagte Tom. »Ich weiß.« Und zu Jordan sagte er scharf: »Hör auf, sie anzugaffen, Jordan, sie wird nicht aufstehen, um zu wandeln.«
    Jordan ignorierte ihn und betrachtete weiter die von Krähen angepickte Tote mit der Sea-Dogs-Mütze. »Die Handy-Leute haben angefangen, sich um welche von ihnen zu kümmern, sobald sie eine Art Grundprogrammierung bekommen hatten«, sagte er. »Auch wenn sie die Leichen nur unter den Tribünen rausgeholt und in den Sumpf geworfen haben, haben sie wenigstens versucht, irgendwas zu tun. Aber um unsere Leute kümmern sie sich nicht. Unsere Leute lassen sie verwesen, wo sie gefallen sind.« Er wandte sich Clay und Tom zu. »Was sie auch sagen, was sie auch versprechen, wir dürfen ihnen nicht trauen«, sagte er heftig. »Das dürfen wir nicht, okay?«
    »Bin völlig deiner Meinung«, sagte Tom.
    Clay nickte. »Ich auch.«
    Tom nickte zum Rathaus hinüber, wo noch einige Notleuchten brannten, die einen matten gelblichen Schimmer über die Autos der Angestellten warfen, die jetzt in Verwehungen aus Herbstlaub standen. »Kommt, wir gehen rein und sehen nach, was sie zurückgelassen haben.«
    »Ja, tun wir das«, sagte Clay. Johnny würde fort sein, daran zweifelte er nicht, aber es gab noch immer einen kleinen Teil von ihm, einen kleinen, kindischen, unerschütterlich optimistischen Teil, der weiter hoffte, er werde den Schrei »Daddy!« hören und dann werde sein Sohn sich ihm in die Arme werfen: ein lebendes Wesen, ein reales Gewicht inmitten dieses Albtraums.

4
    Dass das Rathaus verlassen sein würde, wussten sie, als sie sahen, was quer über die zweiflüglige Eingangstür geschrieben war. Im schwächer werdenden Licht der batteriebetriebenen Notbeleuchtung sahen die großen, nachlässigen Pinselstriche mit roter Farbe wie weiteres getrocknetes Blut aus:
    KASHWAK = NO-FO
    »Wie weit ist es von hier bis zu diesem Kashwak?«, fragte Tom.
    Clay überlegte. »Achtzig Meilen, würde ich sagen, fast genau nördlich von hier. Man würde die meiste Zeit die Route 160 benützen, aber innerhalb der TR kenne ich mich nicht mehr aus. Die TR-90 ist wie gesagt gemeindefreies Gebiet. Außer ein paar kleinen Dörfern, mehreren Steinbrüchen und einer kümmerlichen Micmac-Reservation gibt's dort nur Wald, Bären und Rotwild.« Er drückte die Klinke, und die Tür ging problemlos auf. »Ich muss mich jetzt drinnen umsehen. Ihr braucht nicht mitzukommen, wenn ihr nicht wollt - dafür habe ich volles Verständnis.«
    »Nein, wir kommen mit«, sagte Tom. »Oder, Jordan?« »Klar«, sagte Jordan. Er seufzte wie ein Junge, dem etwas bevorstand, was sich als schwierige Aufgabe erweisen könnte. Dann lächelte er. »He, elektrisches Licht. Wer weiß, wann wir das wieder zu sehen kriegen.«
    Kein Johnny Riddell kam aus einem dunklen Raum gestürmt, um sich in die Arme seines Vaters zu werfen, aber im Rathaus hing noch der Geruch von Speisen, die die nach dem Puls hier versammelten Menschen auf Gas- und kleinen Holzkohlegrills zubereitet hatten. Das lange Schwarze Brett vor dem Sitzungssaal, an dem sonst Einladungen zu Sitzungen und Veranstaltungshinweise hingen, war jetzt mit mindestens zweihundert Mitteilungen bepflastert. Clay, der vor nervöser Anspannung beinahe hechelte, begann sie mit dem Eifer eines Gelehrten zu studieren, der das verschollene Evangelium der Maria

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