Puls
Nordwesten nahm der Horizont ein helleres Orangerot an, weil die Kashwakamak-Halle sich nun ihr Feuer mit dem Wald hinter ihr teilte.
»Diesmal gibt's keinen großen Abschied«, sagte Clay und tat so, als sähe er die Tränen in Jordans Augen nicht. »Ich rechne fest damit, euch wiederzusehen. Hier, Tom. Nimm es mit.« Er hielt ihm das Handy hin, mit dem er die Detonation ausgelöst hatte. Tom griff danach. »Fahrt von hier aus nach Norden. Sieh immer mal wieder nach, ob die Signalstärke angezeigt wird. Wenn ihr zu Straßenriffen kommt, lasst ihr einfach den Wagen stehen, mit dem ihr gerade unterwegs seid, geht zu Fuß weiter, bis die Straße wieder frei ist, sucht euch ein neues Auto und fahrt weiter. Im Gebiet um Rangely wird das Handy wahrscheinlich funktionieren - dort hat's im Sommer Kanufahrer, im Herbst Jäger und im Winter Skifahrer gegeben -, aber jenseits davon müsste alles klar sein. Dort dürftet ihr auch tagsüber sicher sein.«
»Ich wette, dass es jetzt schon tagsüber sicher ist«, sagte Jordan und wischte sich Tränen aus den Augen.
Clay nickte. »Vielleicht hast du Recht. Aber benützt euren gesunden Menschenverstand. Ungefähr hundert Meilen nördlich von Rangely sucht ihr euch ein Blockhaus, eine Jagdhütte oder so was, lagert reichlich Vorräte ein und verkriecht euch da für den Winter. Ihr wisst, was mit diesen . Kreaturen im Winter passieren wird, oder nicht?«
»Wenn ihr Kollektivbewusstsein nicht wieder zurückkehrt und sie nach Süden ziehen lässt, werden alle erfrieren«, sagte Tom. »Zumindest alle nördlich der Mason-Dixon-Linie.«
»Das glaube ich auch, genau. Die Farbsprühdosen habe ich in die Mittelkonsole gelegt. Ungefähr alle zwanzig Meilen sprüht ihr hübsch groß und deutlich T-J-D auf die Fahrbahn. Kapiert?«
»T-J-D«, sagte Jordan. »Für Tom, Jordan, Dan und Denise.«
»Genau. Achtet darauf, die Buchstaben extragroß zu sprühen -mit einem Pfeil, falls ihr die Straße wechselt. Wenn ihr eine unbefestigte Straße nehmt, sprüht ihr die drei Buchstaben an Bäume, immer auf der rechten Straßenseite. Dort halte ich danach Ausschau. Habt ihr das?«
»Immer rechts der Straße«, bestätigte Tom. »Komm doch einfach mit uns, Clay. Bitte.«
»Nein. Macht mir nicht alles noch schwerer, als es ohnehin schon ist. Jedes Fahrzeug, das ihr aufgeben müsst, lasst ihr mitten auf der Straße zurück und besprüht es mit T-J-D. Okay?«
»Okay«, sagte Jordan. »Sieh bloß zu, dass du uns findest!«
»Das werde ich. Die Welt wird noch für einige Zeit gefährlich sein, aber längst nicht mehr so gefährlich, wie sie schon mal war. Jordan, dich muss ich noch etwas fragen.«
»Okay.«
»Was soll ich tun, wenn ich Johnny finde und feststelle, dass ihm nichts Schlimmeres zugestoßen ist, als dass er ihren Konversionspunkt passiert hat?«
Jordan starrte ihn an. »Woher soll ich das wissen? Jesus, Clay! Ich meine ... Jesus!«
»Du hast gewusst, dass ihre Gehirne neu gestartet werden«, sagte Clay.
»Das war bloß eine Vermutung!«
Clay wusste, dass es viel mehr gewesen war. Etwas viel Besseres. Aber er wusste auch, dass Jordan erschöpft und verängstigt war. Er ließ sich vor dem Jungen auf ein Knie nieder und ergriff seine Hand. »Hab keine Angst. Für ihn kann's nicht schlimmer werden, als es schon ist. Das kann's weiß Gott nicht.«
»Clay, ich ...« Jordan sah zu Tom hinüber. »Menschen sind nicht wie Computer, Tom! Sag's ihm!«
»Aber Computer sind wie Menschen, stimmt's?«, sagte Tom. »Weil wir bauen, was wir kennen. Du hast von dem Neustart gewusst, du hast von dem Virus gewusst. Also sag ihm, was du denkst. Wahrscheinlich findet er den Jungen sowieso nicht. Und falls er's tut …« Tom zuckte die Achseln. »Er hat Recht. Wie viel schlimmer kann's noch werden?«
Jordan biss sich auf die Unterlippe, während er darüber nachdachte. Er sah zu Tode erschöpft aus und hatte Blut an seinem Hemd.
»Kommt ihr endlich, Leute?«, rief Dan.
»Augenblick noch«, sagte Tom. Leise, fast behutsam sagte er: »Jordan?«
Jordan schwieg noch einen Moment länger. Dann erwiderte er Clays Blick und sagte: »Du bräuchtest ein weiteres Handy. Und du müsstest ihn an einen Ort bringen, wo Handyempfang möglich ist …«
ALLES SPEICHERN
1
Clay stand mitten auf der Route 160 an einer Stelle, die an einem sonnigen Tag im Schatten der Plakattafel gelegen hätte, und beobachtete die Heckleuchten, bis sie außer Sicht waren. Er konnte die Vorstellung, Tom und Jordan niemals
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