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Puls

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Titel: Puls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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zu reden aufhöre, müsst ihr einfach abhauen. Versucht nicht etwa, mich rauszuholen.«
    »Keine Sorge«, sagte sie, ohne zu lächeln. »Ich kenne die Filme auch alle. Bei uns gibt's ein Cinemax.«

18
    »Alles okay bei mir!«, rief Clay, während er seine Mappe aufhob und auf die Theke legte. Praktisch bist du hier fertig, dachte er. War er aber noch nicht ganz.
    Als er um die Empfangstheke herumging, sah er sich um und erkannte die einzige nicht blockierte Fensteröffnung, die schwach leuchtend in dem sich verstärkenden Dunkel zu schweben schien, und die beiden Silhouetten, die sich vor dem letzten Lichtschein des schwindenden Tages abhoben. »Alles okay bei mir, weiter okay, will jetzt nur in seinem Büro nachsehen, weiterhin okay, noch immer o...«
    »Clay?« McCourts Stimme klang unüberhörbar besorgt, aber im Augenblick konnte Clay nicht antworten, um ihn zu beruhigen. In der Mitte der hohen Decke des kleinen rückwärtigen Büros hing eine Lampe. Mr. Ricardi hatte sich mit etwas, was wie eine Vorhangschnur aussah, daran erhängt. Über den Kopf war eine weiße Plastiktüte gezogen. Clay hielt sie für einen der Wäschesäcke, die das Hotel für Schmutzwäsche und Sachen, die chemisch gereinigt werden sollten, zur Verfügung stellte. »Clay, alles in Ordnung mit Ihnen?«
    »Clay?« Alice' Stimme klang schrill, beinahe schon hysterisch.
    »Okay«, hörte er sich sagen. Sein Mund schien selbständig zu arbeiten, ohne von seinem Gehirn unterstützt zu werden. »Bin noch im Büro.« Er dachte daran, wie Mr. Ricardi ausgesehen hatte, als er Ich bleibe auf meinem Posten gesagt hatte. Das hatte überheblich geklungen, aber sein Blick war dabei ängstlich und irgendwie demütig gewesen, der Blick eines kleinen Waschbären, den ein großer, wütend geifernder Hund in eine Garagenecke getrieben hat. »Ich komme jetzt wieder raus.«
    Er ging rückwärts hinaus, als könnte Mr. Ricardi aus der selbst geknoteten Vorhangschnurschlinge schlüpfen und über ihn herfallen, sobald er ihm den Rücken zukehrte. Plötzlich war seine Angst um Sharon und Johnny ins Unermessliche gewachsen; er sehnte sich mit einer Gefühlsintensität nach ihnen, die ihn an seinen ersten Schultag denken ließ, als seine Mutter sich am Tor des Spielplatzes vor der Schule von ihm verabschiedete. Die anderen Eltern hatten ihre Kinder hineinbegleitet. Aber seine Mutter hatte gesagt: Geh einfach rein, Clayton, es ist das erste Zimmer links, du kommst schon zurecht, Jungen müssen das allein schaffen. Bevor er getan hatte wie geheißen, hatte er beobachtet, wie sie wieder die Cedar Street entlang davonging. Ihren blauen Mantel. Als er letzt hier im Dunkel stand, schloss er erneut Bekanntschaft mit dem Wissen, dass der zweite Teil von heimwehkrank nicht umsonst krank hieß.
    Tom und Alice waren in Ordnung, aber er sehnte sich nach den Menschen, die er liebte.
    Sobald er um die Empfangstheke herum war, wandte er sich in Richtung Straße und durchquerte die Eingangshalle. Er kam nahe genug an die glaslose rechteckige Fensteröffnung heran, um die ängstlichen Gesichter seiner neuen Freunde sehen zu können; dann fiel ihm ein, dass er seine beschissene Mappe liegen gelassen hatte. Er musste zurückgehen, um sie zu holen. Als er nach ihr griff, rechnete er fest damit, dass Mr. Ricardis Hand aus dem zunehmenden Dunkel hinter der Empfangstheke kam und sich lautlos auf seine legte. Das passierte zwar nicht, aber aus dem ersten Stock kam wieder ein Poltern. Dort oben war noch etwas zugange, stolperte noch etwas durchs Dunkel. Etwas, was bis heute Nachmittag drei Uhr ein Mensch gewesen war.
    Als er wieder auf halbem Weg zum Ausgang war, blinkte die einzige akkubetriebene Notleuchte in der Eingangshalle kurz auf, dann erlosch sie. Das ist ein Verstoß gegen die Brandschutzvorschriften, dachte Clay. Das müsste ich anzeigen.
    Er reichte seine Mappe hinaus. McCourt nahm sie ihm ab.
    »Wo ist er?«, fragte Alice. »War er nicht da?«
    »Tot«, sagte Clay. Er hatte überlegt, ob er lügen sollte, aber er bezweifelte, dass er dazu imstande gewesen wäre. Was er gesehen hatte, war ein zu großer Schock gewesen: Wie erhängte jemand sich selbst? Er verstand nicht, wie das überhaupt möglich war. »Selbstmord.«
    Alice fing an zu weinen, und Clay kam der Gedanke, dass dem Mädchen offenbar nicht klar war, dass sie wahrscheinlich längst tot wäre, wenn es nach Mr. Ricardi gegangen wäre. Das Problem war nur, dass ihm selbst irgendwie nach Weinen zumute war. Weil Mr.

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