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Puna - Toedliche Spurensuche

Puna - Toedliche Spurensuche

Titel: Puna - Toedliche Spurensuche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Scholze
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Geschichte mit dem Studium verbinden. Und nachdem sie auch dieses Studium kurz vor der Abschlussarbeit abbrach, fand sie die Möglichkeit bei verschiedenen Praktika archäologische Arbeit zu erlernen. Überall da, wo es galt, die Spuren im Boden zu deuten, konnte sie auftrumpfen. Die Rekonstruktion der letzten Tage von Ötzi war eine andere Art, alte Sachverhalte aufzudecken, die sie sehr interessierte; auch wenn es jenseits ihrer Ausbildung lag.
    Anja konnte sich der seltsamen Faszination, die von diesem Eismann ausging, nicht entziehen. Als Genealogin musste sie auch immer wieder alte, teilweise sehr spannende Ereignisse und Zusammenhänge enträtseln. Mit viel Wohlwollen konnte man auch gewissen Gemeinsamkeiten mit den Anthropologen, die Ötzi untersuchten, erkennen. In einem aber, wichen sie stark voneinander ab. Wenn sich Anja mal einem ‚Forschungsobjekt‘ stark genähert hatte, dann stand sie vor der Grabstätte. Die Totenruhe und die Würde der Toten blieben aber immer unangetastet. Wie oft war Ötzi unbekleidet von vorne, von hinten und von der Seite abgelichtet und veröffentlicht worden? Der Artikel sprach davon, dass Ötzi der bestuntersuchte Patient sei. Wo ist dabei die Würde geblieben? Anja hatte sich mit diesem Problem nie abfinden können. Aber gleichzeitig beteiligte sie sich an dem Voyeurismus.
    Anja betrachtete das Foto vom letzten Teil des Tilsentales. Hier und da verteilt Schneeflecken. Sie war zu tief in die Geowissenschaften eingetaucht. Sie hatte sich zu viel mit Geomorphologie beschäftigt, als dass sie die Ursachen dieser Landschaft nicht hätte lesen können. Sie sah die Gletscher vor ihrem inneren Auge. Besser noch als es die Zeichnungen in dem Artikel vermochten. Sie schloss die Augen und versuchte sich die Details vorzustellen, die nicht auf den Zeichnungen zu sehen waren. Und während sie darüber nachdachte, nickte sie auch wieder ein.

    »Entschuldigung, Frau Koswig«, jemand fasste sie am Arm. »Entschuldigung, Frau Koswig, wir müssen uns wieder anschnallen«. Es war Nathan Gailman. Über ihnen leuchteten die Lampen auf, dass das Rauchen einzustellen sei und dass man sich anschnallen solle. Anja bemerkte die Geschäftigkeit der Flugbegleiter um sie herum. Eine Dame ging die Sitzreihen entlang und schaute nach, ob jeder wieder angeschnallt sei. »Ich muss eingeschlafen sein«, sagte Anja vor sich hin. »Nathan, was ist los ?« Der vordere Teil der Kabine hob sich und die Triebwerksgeräusche nahmen zu.
    »Wir sind im Landeanflug auf Santa Cruz de la Sierra . Vielleicht kennen Sie den Bundesstaat? Hier hatte einst Che Guevara versucht, Bolivien die Revolution zu bringen. Vollkommen unprofessionell. Hatte sich im Vorfeld nicht mit dem Land beschäftigt. Sonst hätte er wissen müssen, dass er ins Hochland zu den Minieros muss. So ist er gescheitert. Wurde irgendwo in dem Bundesstaat Santa Cruz erschossen. Ich glaube, La Higuera hieß das Nest ...«.
    »Tut mir leid. Aber ich habe mich mit Che Guevara nie beschäftigt«, antwortete Anja.
    »Glauben Sie mir. Das ist ein Fehler. Sie können nicht durch Lateinamerika reisen, ohne dessen Spuren zu finden. Und Bolivien ist in der Beziehung etwas Besonderes. Das Hotel, in dem Ernesto abgestiegen war, als er den Revolutionskampf in der Startphase koordinierte, liegt in La Paz. Ironischerweise genau gegenüber einer Kirche. Wo er doch Kirchen so ablehnte ... Hingerichtet wurde er in Bolivien. Und dort fand man vor kurzem auch seine Gebeine. Die Hände hatte man schon vorher nach Buenos Aires und dann nach Havannah geschickt. So eine Macke, der Militärregierungen in Lateinamerika. Bloß nicht den gesamten Körper an einer Stelle verscharren. Vor kurzem hat General Vargas das Geheimnis verraten, wo die Gebeine zu finden seien. Er soll in dem Zusammenhang in Richtung Kuba gesagt haben: ‚Wenn die Israelis und Palästinenser Frieden schließen - wieso sollen wir es nicht auch können ? ‘. Die ganze Sache soll für Vargas nicht ganz ungefährlich gewesen sein. Fahren Sie bloß nicht zum Jahrestag der Hinrichtung nach La Higuera. Dort wird Che wie ein Gott verehrt. Und wenn Sie mir immer noch nicht glauben wollen. Achten Sie doch einmal darauf, wie die Bolivianerinnen teilweise heißen: Tania. Benannt nach ‚Tania la guerrillera‘. Eigentlich hieß sie Haydée Tamara Bunke Bider. Geboren in Argentinien, mit ihren Eltern, überzeugten Kommunisten, in die damalige DDR gezogen und später nach Kuba ausgereist. Man sagte ihr nach, sie sei eine

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