Punktlandung in Sachen Liebe (German Edition)
Fehlen zu bemerken. Irgendwie hat sie sich Trauer vorgestellt, wie sie es aus Filmen kannte, jede Menge strömende Tränen und ersticktes Schluchzen. Aber hier, in diesem Garten, werden keine Fäuste gen Himmel geschüttelt, niemand sinkt auf die Knie, niemand verflucht das Schicksal.
Stattdessen sieht Oliver eher so aus, als müsste er sich übergeben. Sein Gesicht hat einen grauen Schimmer, jede Farbe scheint daraus gewichen, was vor seinem dunklen Anzug noch erschreckender wirkt, und er blinzelt sie ausdruckslos an. Sein Blick hat etwas Verletztes, als wäre er verwundet worden, könnte aber die Quelle des Schmerzes noch nicht ausmachen, und er atmet zittrig.
»Tut mir leid, dass ich es dir nicht erzählt habe«, sagt er schließlich.
»Nein, nein.« Hadley schüttelt den Kopf. »Tut mir leid, dass ich einfach so angenommen habe …«
Sie verstummen wieder.
Nach einer kurzen Weile seufzt Oliver. »Ist ein bisschen seltsam, oder?«
»Was genau?«
»Weiß auch nicht«, sagt er schwach lächelnd. »Dass du zur Beerdigung meines Vaters kommst?«
»Ach so«, sagt sie.
Er bückt sich und reißt ein paar Grashalme ab, rupft geistesabwesend daran herum. »Ich meine eigentlich die ganze Veranstaltung. Vielleicht muss man es einfach so machen wie die Iren und das Ganze zu einer Toten feier umwandeln. Denn so was hier« – er deutet mit dem Kinn in Richtung Kirche – »so was ist der reine Wahnsinn.«
Neben ihm nestelt Hadley am Saum ihres Kleides und weiß nicht, was sie sagen soll.
»Zu feiern gäbe es hier allerdings nicht viel«, sagt er bitter und lässt die Grasfetzen zu Boden flattern. »Er war ein totales Arschloch. Hat keinen Sinn, jetzt noch das Gegenteil zu behaupten.«
Hadley schaut erstaunt auf, aber Oliver wirkt erleichtert.
»Das denke ich schon den ganzen Vormittag«, sagt er. »Eigentlich seit achtzehn Jahren.« Er schaut sie an und lächelt. »Du bist irgendwie gefährlich, weißt du das?«
Sie starrt ihn an. »Ich?«
»Ja.« Er lehnt sich zurück. »Ich bin viel zu ehrlich zu dir.«
Ein kleiner Vogel landet auf dem Gartenbrunnen, und sie schauen zu, wie er vergeblich am Stein pickt. Hier gibt es kein Wasser, nur eine rissige Schmutzschicht, und kurz darauf fliegt der Vogel wieder auf und wird zu einem fernen Fleck am Himmel.
»Wie ist es passiert?«, fragt Hadley leise, aber Oliver antwortet nicht, er sieht sie nicht mal an. Durch die Obstbäume am Zaun sieht sie, wie die Leute, dunkel wie Schatten, allmählich zu ihren Autos gehen. Der Himmel über ihnen ist wieder grau und flach geworden.
Nach einer Weile räuspert sich Oliver. »Wie war die Hochzeit?«
»Was?«
»Die Hochzeit. Wie ist es gelaufen?«
Sie zuckt die Achseln. »Gut.«
»Ach komm«, sagt er mit flehendem Blick, und Hadley seufzt.
»Tatsächlich ist Charlotte ganz nett«, fängt sie an und faltet die Hände im Schoß. »Ärgerlich nett.«
Oliver grinst und sieht nun mehr nach der Version seiner selbst aus, die sie im Flugzeug kennengelernt hat. »Und was ist mit deinem Vater?«
»Scheint glücklich zu sein«, sagt sie mit belegter Stimme. Sie bringt es nicht über sich, das Kind zu erwähnen, als würde sie es wahr machen, wenn sie davon spricht. Stattdessen fällt ihr das Buch ein, und sie holt es aus der Tasche. »Ich habe es nicht zurückgegeben.«
Sein unsteter Blick kommt auf dem Einband zur Ruhe.
»Auf dem Weg hierher habe ich ein bisschen reingelesen«, sagt sie. »Ist tatsächlich ganz gut.«
Oliver greift nach dem Buch und blättert es durch, wie er es im Flugzeug getan hat. »Wie hast du mich überhaupt gefunden?«
»Jemand hat eine Beerdigung in Paddington erwähnt«, sagt sie, beim Wort Beerdigung zuckt Oliver zusammen. »Und ich weiß auch nicht. Ich hatte so ein Gefühl.«
Er nickt und klappt das Buch vorsichtig zu. »Mein Vater hatte eine Erstausgabe davon«, sagt er, und seine Mundwinkel verziehen sich. »Stand ganz oben im Regal in seinem Arbeitszimmer, und ich weiß noch, wie ich als Kind immer hochgestarrt habe und wusste, es ist viel wert.«
Er gibt Hadley das Buch zurück, sie drückt es an die Brust und wartet, dass er fortfährt.
»Ich fand immer, dass es ihm aus den ganz falschen Gründen etwas wert war«, sagt er mit leiserer Stimme. »Ich habe ihn nie was anderes lesen sehen als juristische Schriftsätze. Aber ab und an hat er aus heiterem Himmel einen Satz daraus zitiert.« Er lacht vollkommen freudlos. »Das war so unpassend. Wie ein singender Schlachter oder so was. Ein
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