Punktlandung in Sachen Liebe (German Edition)
nicht seine Professormiene aufgesetzt hat – den Kopf zur Seite gelegt, der Blick neutral, die Gesichtszüge so etwas wie höfliches Interesse heuchelnd.
Nein, sein Blick jetzt geht tiefer: So hat er sie angeschaut, als sie sich als Kind das Knie aufgeschlagen hat, nachdem sie mit dem Fahrrad in der Auffahrt gestürzt war, oder an dem Abend, als sie ein Glas Kirschen auf dem Küchenboden zerschlagen hatte und auf eine Scherbe getreten war. Es liegt etwas in diesem Blick, wovon es ihr gleich besser geht.
Hadley umklammert eins der vielen Dekokissen, die auf dem Prunkbett verteilt liegen, und erzählt Dad, wie sie Oliver am Flughafen getroffen hat, wie er im Flugzeug die Sitze getauscht hat, wie er ihr mit albernen Ablenkungsfragen über ihre Klaustrophobie hinweggeholfen hat, so ähnlich wie Dad es auch einmal getan hat.
»Weißt du noch, wie du mir geraten hast, mir den Himmel vorzustellen?«, fragt sie, und Dad nickt.
»Hilft das immer noch?«
»Ja«, sagt Hadley. »Ist das Einzige, was überhaupt hilft.«
Er neigt den Kopf, aber sie kann noch erkennen, dass sich ein Lächeln auf seine Lippen stiehlt.
Vor der Tür wartet eine ganze Hochzeitsgesellschaft, eine frisch vermählte Braut und zahllose Champagnerflaschen, außerdem gibt es einen Zeitplan, der eingehalten werden muss. Doch Dad sitzt neben Hadley und hört zu, als hätte er sonst nichts vor. Als könne es nichts Wichtigeres geben als dies. Als sie . Also erzählt Hadley weiter.
Von ihren Gesprächen mit Oliver, von den langen Stunden, in denen es außer Reden nichts zu tun gab, während sie zueinandergebeugt über dem endlosen Ozean saßen. Sie erzählt von Olivers albernen Forschungsprojekten, vom Entenfilm, von ihrer dämlichen Annahme, dass auch er zu einer Hochzeit unterwegs sei. Sie erzählt sogar vom Whiskey.
Vom Kuss am Zoll allerdings erzählt sie nichts.
Als sie zu der Stelle kommt, wo sie ihn am Flughafen aus den Augen verliert, redet sie so schnell, dass sie über die Worte stolpert. Als ob irgendein Ventil in ihrem Inneren aufgegangen wäre und sie nicht mehr aufhören könnte. Sie erzählt von der Trauerfeier in Paddington, von ihren schlimmsten Befürchtungen, die wahr wurden, und er legt seine Hand auf ihre.
»Ich hätte es dir sagen sollen«, sagt sie und wischt sich mit dem Handrücken über die Nase. »Oder vielmehr hätte ich gar nicht hingehen sollen.«
Dad sagt nichts, wofür Hadley dankbar ist. Sie weiß nicht genau, wie sie den nächsten Teil in Worte fassen soll, den Ausdruck von Olivers Augen, so dunkel, so ernst, wie das Aufziehen eines Gewitters in der Ferne. Dicht hinter der Tür bricht Gelächter aus, gefolgt von vereinzeltem Beifall. Sie holt tief Luft.
»Ich habe versucht, zu helfen«, sagt sie leise. Aber sie weiß, das stimmt nicht ganz. »Ich wollte ihn wiedersehen.«
»Das ist lieb«, sagt Dad, aber Hadley schüttelt den Kopf.
»Ist es nicht. Ich meine, ich kannte ihn erst seit ein paar Stunden. Das ist doch lächerlich. Vollkommen sinnlos.«
Dad lächelt und richtet seine schief sitzende Fliege. »Aber so ist das mit diesen Dingen, Kleines«, sagt er. »Liebe soll nicht sinnvoll sein. Sie ist total unlogisch.«
Hadley hebt den Kopf.
»Was ist?«
»Nichts«, sagt sie. »Bloß dass Mom haargenau das gleiche gesagt hat.«
»Über Oliver?«
»Nein, mehr so allgemein.«
»Deine Mutter ist eine kluge Frau«, sagt er, und weil es so ganz unironisch, ganz ohne Hintergedanken klingt, muss Hadley die Frage stellen, die sie seit über einem Jahr auszusprechen vermeidet.
»Warum hast du sie dann verlassen?«
Dad klappt der Unterkiefer herunter, und er weicht zurück, als seien die Worte etwas Körperliches. »Hadley«, hebt er mit leiser Stimme an, doch ihr Kopf ruckt hin und her.
»Schon gut«, sagt sie. »Vergiss es.«
Blitzschnell steht er auf, und Hadley befürchtet, er würde das Zimmer verlassen. Doch er setzt sich zu ihr aufs Bett. Sie rückt zur Seite, so dass sie nebeneinandersitzen und einander nicht ansehen müssen.
»Ich liebe deine Mutter immer noch«, sagt er leise, und Hadley will ihn unterbrechen, aber er spricht weiter, ehe sie es schafft. »Aber natürlich haben sich meine Gefühle geändert. Und natürlich habe ich auch ein schlechtes Gewissen und vieles falsch gemacht. Aber sie bedeutet mir immer noch viel. Das musst du wissen.«
»Aber wie konntest du sie dann –?«
»Verlassen?«
Hadley nickt.
»Musste ich«, sagt er schlicht. »Aber das heißt nicht, dass ich dich verlassen
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