Puppenbraut
Und dennoch erkannte sie an der rechteckigen Form, was es war.
‘Im Gras lag ein Buch! Ein funkelnagelneues, in Folie eingeschweißtes Buch’, dachte sie euphorisch. Wenn sie sich einer Sache sicher war, dann der, dass es in dem kleinen Kiosk keine eingeschweißten Bücher zu kaufen gab. Die Mädchen mussten also, bevor sie zum Spielplatz kamen, in einer Buchhandlung gewesen sein. Selbst für das Auspacken nahmen sich die Kinder keine Zeit. ‘Ob das ein Detail war, weshalb der Buchhändler vom FBI verhört worden war?’, fragte sie sich. ‘Oder war dies vielmehr ein Indiz, welches die Kinder mit diesem Mann in Verbindung bringen könnte?’ Viel wahrscheinlicher erschien ihr plötzlich, dass es nichts dergleichen war. Dieses Foto bewies lediglich, dass die Mädchen einfach ein eingeschweißtes Buch dabei hatten. Mehr nicht.
‘Verdammt! Ich muss nochmal in den Park! Bestimmt habe ich etwas übersehen! Zu diesem Platz, wo das Buch lag’, dachte Doreen. Plötzlich traf es sich gut, dass sie Raffaella erst nachmittags zum Zoobesuch treffen würden. Es gab ihnen genug Zeit, in den Park zu gehen. Etwas Beschäftigung auf dem Spielplatz würde Cassy einem ausgedehnten Frühstück sicherlich vorziehen. Sie beschloss, ihre Lebensgefährtin noch nicht in ihre Pläne einzuweihen. Raffaella war in letzter Zeit sowieso schon etwas überempfindlich. Cassy würde sich in ihrer Freude sofort verquatschen, also war die Devise, beim Frühstückstisch den Mund zu halten.
Persönlich sah Doreen eine geringe Gefahr darin, den Park mit ihrer Tochter zu besuchen. Mit Ivy hätte sie es nicht zugelassen, weil sie ihr zu jung erschien. Doch irgendetwas in ihrem Herzen sagte ihr, dass der “Dolly-Lover” erst erneut auf Jagd gehen würde, wenn Zoey tot oder lebendig gefunden wurde. Vorher ging keine Gefahr von ihm aus!
Abrupt schreckte sie hoch, als sie das Klingeln des Telefons vernahm. Einen Augenblick später hörte sie Raffaella sprechen. So sachlich hörte sie sich nur an, wenn es um dienstliche Angelegenheiten ging. ‘Sie wird also bald in die Küche kommen.’ Um weitergehenden Diskussionen über Zoey zu entgehen, fuhr sie ihren Computer herunter und machte sich an die Vorbereitungen zum Frühstück.
Es dauerte tatsächlich nicht lange, bis die vertraute Stimme hinter ihrem Rücken erklang. Doreen musste unwillkürlich lächeln, während sie so tat, als hätte sie Ell nicht wahrgenommen.
„Hallo, meine Schönheit“, Raffaella küsste sie zärtlich am Nacken,“hast du gut geschlafen?“
„Du bist also auch schon wach?“ Ree fiel es nicht leicht, den aufsteigend fröhlichen Unterton zu unterdrücken. Das war genau diese empfindliche Stelle, bei der sie nicht widerstehen konnte, wenn sie geküsst wurde. Ein erotischer Schauer durchfuhr sie bis in die Zehenspitzen. Während sie unter dieser Anspannung leicht zitterte, spürte sie ein Kribbeln in der Bauchgegend, das sie noch mehr elektrisierte.
Doch die plötzliche Erkenntnis, dass noch Arbeit auf sie wartete, traf sie mit voller Wucht. Für Zoey gab es vielleicht noch Hoffnung! Das durfte Doreen nicht vergessen! Sie drehte sich um und küsste Ell liebevoll auf die Stirn. Damit wischte sie mit Bedauern die Sinnlichkeit dieses einen Augenblicks unwiderruflich fort.
„Musst du schon in die Praxis oder isst du noch mit uns?“
„Die Arbeit ruft, leider!“ Ell konnte sich kaum losreißen. Sonntage waren die einzigen Tage, wo sie beide lümmelnd am Frühstückstisch sitzen konnten. Falls natürlich nicht etwas Wichtigeres dazwischen kam. „Ich fahre noch zu Amy, und dann muss ich kurz unseren neuen Fall durchgehen. Aber ich verspreche hoch und heilig, dass ich um drei vorm Eingang des Zoos stehen werde!“
„Großes Indianer-Mädchenehrenwort?“ Ree liebte es, manchmal albern zu sein.
„Großes Indianer-Mädchenehrenwort!“, versprach Raffaella, bevor sie sich lächelnd auf den Weg zum Badezimmer machte. Doreen widmete sich den Spiegeleiern, die bereits in der Pfanne brutzelten, um nachher keine kostbare Zeit zu verlieren. Sie wollte sich mit maximaler Ruhe im Boerum Park umschauen.
*****
Im gleichen Moment, als die Eingangstür hinter Ell zufiel, hörte sie leise Trippelschritte im Flur. Erneut wurde ein Lächeln auf ihren Mund gezaubert. Cassy spürte förmlich, wenn eine von ihren Müttern das Haus verließ. Sie konnte dann nicht mehr ruhig schlafen, als ob sie ihre fehlende Gegenwart aus der Luft wahrnehmen könnte. Vielleicht war es das
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