Puppenbraut
sich, das Badezimmer zu verlassen, um eine erneute Mahnung zu vermeiden. Diese Mutter tat ihr leid. Raffaella folgte ihr.
„Ach, übrigens! Wir haben festgestellt, dass sich Ihre Tochter nicht an die Ereignisse des Tages erinnern kann. Falls sie aufwacht, fragen Sie sie bitte nicht aus. Sie hat beruhigende Medikamente bekommen und bleibt hier erstmal zur Beobachtung! Ach, noch etwas! Das Einzige, was sie ständig murmelte, war etwas von einem Hund. Mehr nicht. Das hat auch die Polizei im Protokoll aufgenommen.“
„Sie sprach sicherlich davon, dass wir uns einen Hund anschaffen wollten!“, sagte Raffaella mit einer Überzeugung, die von der Krankenschwester mit Schulterzucken quittiert wurde. Zu Ells vollkommener Freude ließ die Frau sie im nächsten Augenblick mit Cassy allein. Endlich hatte sie ihr Kind wieder für sich. Für eine erstmal unbestimmte Zeit wurde das Gebäude voller wimmelnder Menschen durch vier kahle, geweißte Wände abgeschottet. Ihr neues Zuhause. Eine Umarmung war das Einzige, was ihnen beiden jetzt ein wenig persönlichen Trost spendete.
Die Tür öffnete sich erneut ohne Vorwarnung, als wenn sie einer Illusion von Zweisamkeit im Krankenhaus trotzen wollte. Ein Polizist erschien.
„Guten Tag, Ma’am. Mein Name ist Lionel Gray vom NYPD. Wir wurden mit einer Personenüberwachung beauftragt. Könnte ich Ihre Identität überprüfen?“
Raffaella Bertani zog ihren Dienstausweis aus der Tasche und zeigte ihn dem jungen Polizisten. Die Reaktion auf diesen Wisch war immer gleich – voller Respekt!
„Wenn Sie möchten, kann ich das Zimmer verlassen und im Korridor...“ Er beendete den Satz nicht.
Cassys Stimme hatte plötzlich einen schrillen, flehenden Ton bekommen. Sie schlief dennoch.
„Nein, bitte, lassen Sie mich! Neeeeeein!“ Die Augen schienen mit einer panikartigen Pupillenbewegung dem Traum zu folgen. Raffaella drückte ihr Kind an ihre Brust. In ihrer Verzweiflung wiegte sie ihren Engel und flüsterte ihr Mantra: „Schschschsch. Alles wird gut. Ich bin bei dir...Schschsch... Alles wird gut!“
Lange nachdem der Polizist den Raum verlassen hatte, um ihnen beiden ihre Privatsphäre zu geben, hielt sie ihr großes, schlafendes Baby in den Armen. Bis der Körper ihres Kindes wieder schlaff auf die Kissen fiel. Scheinbar nahm die Anspannung ab, damit konnte sie ihre Tochter endlich ins Bett legen. Während sie erneut versuchte, ihre Tränen wegzuwischen, öffnete sich die Tür erneut. Ein Ell bekanntes Gesicht hatte ganz offensichtlich die polizeiliche Kontrolle passiert.
„Ivy, wie schön, dass du da bist!“ Raffaella versuchte krampfhaft, ihre stets korrekte Haltung wiederzuerlangen. Es gelang ihr nicht so recht.
Aus einem tiefen Bedürfnis heraus ging sie automatisch auf Ivy zu und umarmte sie. Im Normalfall war es eher ungewöhnlich, weil Ell für diese Art von Spontanität nichts übrig hatte. Dennoch. Genau in diesem Augenblick fühlte sich die sonst beherrschte, eloquente Psychologin wie ein verlorenes Kind. Während sie sich ihr Leid von der Seele schluchzte, schwieg Ivy.
So abrupt, wie Raffaella die eigene Ohnmacht überrannte, war sie wieder vorüber. Die Zeit zum Weinen war noch nicht gekommen. Sie musste Doreen finden!
„Ivy, Schätzchen!“ Mit diesen Worten löste sie sich aus der Umarmung. „Könntest du heute bei Cassy bleiben? Ich werde...“, sie berichtigte sich, “…ich muss Doreen suchen. Ich möchte nicht, dass sie hier allein aufwacht, ok? Du bist fast wie eine Mutter für sie...“
„Ell, du weißt doch, dass du mich nicht zu fragen brauchst, oder?“ Wunderschöne, große Rehaugen schauten die Psychologin anklagend an. Raffaella wusste, dass sie diese Frage nur formalitätshalber stellen musste. Und auch, dass sie Ivy damit gleichzeitig verletzen würde. Sanft küsste sie die junge Frau auf die Stirn, was ihr ‘normalerweise’ ebenfalls fremd war und damit umso mehr ihre Dankbarkeit zum Ausdruck brachte.
„Ich bleibe für euch jederzeit erreichbar und komme morgen pünktlich zur Chefarztvisite wieder, ok? Und... Danke, Ivy!“
„Kein Thema! Mich kriegen hier keine zehn Pferde weg!“ Das leichtfertige Lächeln sollte aufmuntern. Es hatte die gewünschte Wirkung verfehlt. Ivy schaute etwas ernster. „Finde sie, Ell!“
Bevor Raffaella etwas entgegnen konnte, wachte Cassy auf. Es war an der Zeit, ihrem kleinen Mädchen etwas Aufmerksamkeit zu schenken, bevor sie aufbrach, ihr großes zu suchen.
KAPITEL 16
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