Puppenbraut
Raum dahinter?“ Sie hob den Kopf, um sich umzusehen.
„Da schlafe ich”, antwortete Zoey prompt.
„Ok, Schatz. Sehr schön! Gibt es dort Fenster?“ ‘Wäre zumindest eine Idee!’, dachte Ree.
„Ein Fenster wie in diesem Raum. Aber alles ist vergittert. Ich habe auch schon versucht zu schreien. Da wird er sehr böse!“ Die Miene der Kleinen verfinsterte sich.
‘Was musste dieses Kind bisher über sich ergehen lassen’, dachte Doreen traurig.
„Hat er dich geschlagen, Zoey?“, fragte sie, obwohl der Blick auf ihr Gesicht die Frage eigentlich beantwortet hatte.
„Nein... Naja, manchmal.“ Tränen der Scham liefen ihr über das Gesicht.
Doreen holte ganz tief Luft, bevor sie die nächste Frage stellte, vor deren Antwort sie sich fürchtete. „Hat er dir sonst etwas angetan, was du nicht wolltest, Zoey? Du kannst mir wirklich alles erzählen, Schatz.“
Zoey zögerte einen kurzen Augenblick. „Er... Er hat gesagt, dass wir für immer zusammenbleiben. Aber erst, wenn wir verheiratet sind. Und dass es mir besonders viel Spaß machen würde, weil es keine Sünde mehr ist, wenn man dann ‘Erwachsenensachen’ macht. Ich will aber nicht mit ihm für immer zusammen sein!“
Augenblicklich schluchzte die Kleine so herzzerreißend, dass es Doreen in der Seele wehtat. Am liebsten hätte sie das Kind umarmt, doch ihre Arme waren gefesselt. Was Zoey aber soeben sagte, bedeutete, dass dieses miese Schwein sie noch nicht angefasst hatte. Offenbar glaubte er irgendwie an Gott und Sünde. Bis zu diesem eingebildeten Ritual würde er sie also nicht anfassen! Das war immerhin etwas.
„Zoey, Schatz. Das ist jetzt ganz wichtig! Schau dich mal bitte um, ob du hier oder in dem Zimmer, wo du sonst schläfst, etwas findest, womit ich diese Kabelbinder an meinen Gelenken abmachen könnte. Egal was. Ein Glas, eine Gabel, ein Messer, eine Schere oder irgendetwas Ähnliches. Bring am besten alles, was du findest, zu mir!“
In gleichen Augenblick setzte sich das Kind in Bewegung. Doreen versuchte vergeblich, die Fesseln loszuwerden. Sie taten weh, doch ohne sie durchzuschneiden, hatte sie nicht die geringste Chance. Als Zoey eine kleine Puppe, einen Teller und einen Becher aus Plastik und etwas altes Brot brachte, waren ihre Hoffnungen wie weggewischt. Trotzdem fragte sie nochmal nach, um die Fassung nicht zu verlieren: „Ist das alles, was in diesem Raum stand?“
„Ja“, antwortete sie leise. „Nur noch ein Bett. Nicht einmal Stühle wie in diesem Zimmer!“
Hörbare Schritte im Flur. „Abendbrot, meine Damen! Heute früher, denn ich muss noch zur Arbeit!“, hörten sie seine zum Erbrechen fröhliche Stimme. Es hörte sich an, als stiege er hinab. Sie waren in einem Souterrain – aufgrund der Fenster, schlussfolgerte Doreen. Wenn nicht bald ein Wunder geschähe, wären sie geliefert!
*****
Raffaella Bertani bog in eine kleine Straße ein. Für das korrekte Parken wollte sie ihren kostbarsten Schatz nicht verschwenden: ihre Zeit. Sie hatte kein großes Bedürfnis, in den Park zu gehen. Dort wimmelte es inzwischen von Cops. Sie musste sich nochmal zu Hause umschauen.
‘Was hast du bloß entdeckt, Ree, dass man dich dafür entführt hat?’
Auf den ersten Blick erschien das Haus so, als wäre ihre Familie immer noch da. In der Spüle tummelte sich dreckiges Geschirr vom Frühstück. Die Kaffeekanne war halb voll. Die beiden hatten es offensichtlich sehr eilig, deduzierte Raffaella. Unter lockeren Umständen hätte Doreen die Wohnung bestimmt nicht so verlassen.
Auf dem Küchentisch lag ihr Leihcomputer, daneben ein Stapel voller Zettel, die sie heute noch durchgehen musste. ‘Das wird eine lange Nacht’, dachte sie und drehte sich um, um sich einen Schluck von dem alten, abgestandenen Kaffee zu nehmen. Just in diesem Augenblick, als sie zur Tasse aus dem Hängeschrank greifen wollte, fiel ihr ein greller Zettel auf, den Doreen offenbar an die Tür gepinnt hatte.
Was sollte diese seltsame Nachricht über irgendwelche Flyer? Und warum hatte Doreen genau diese zwei Zettel aufgeschrieben? Hätte sie gewusst, dass der dritte sich abgelöst hatte und jetzt unter dem Kühlschrank lag, so hätte sie vermutlich den anderen beiden nicht so einen großen Wert beigemessen. Ein fataler Fehler, den Ree unterschätzt hatte, weil sie nicht wusste, wie nah sie damit dem Killer gekommen war. Raffaella klebte die beiden Schnipsel auf den Küchentisch und fing an, die Unterlagen nach Hinweisen
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