Puppenbraut
Zoeys Fall beschäftigt war, schaute er hinaus.
Aus der Höhe des 20. Stockwerkes des FBI-Gebäudes erschien die Welt so winzig. Die Menschen ähnelten emsigen Ameisen, obwohl sich die Hektik des frühen Morgens etwas gelegt hatte. Noch ungefähr zwei Stunden, bis die Stadt wieder im geordneten Chaos versinken würde. Hungrige New Yorker auf der Suche nach dem mittäglichen Fast Food.
Und zwischen ihnen die Jäger, auf der Suche nach neuen Opfern. Nach Kindern, nach Frauen, nach Männern. Mit den individuellen und perversen Vorlieben der Täter. Geleitet von unterschiedlichem Verlangen, mal stärker, mal schwächer, endlich gefasst zu werden. Sicher war nur, dass die übelsten Taten über kurz oder lang als Aktenordner im 20. Stockwerk auf McMelmas Schreibtisch landen würden. Zahlreiche leer starrende Gesichter von Opfern, die niemals aus seinen Träumen verschwinden würden.
Das Klingeln des Telefons unterbrach seine Gedanken. Josh nahm bereitwillig seinen Arbeitsplatz ein, nachdem er den Hörer abgenommen hatte. Diese neuartigen Head-Sets, mit denen die Mitarbeiter des FBI ausgestattet wurden, mochte er nicht gern. An genau diesem Punkt war das Computer-Genie sehr altmodisch.
„Hi, Josh! Ich habe was für dich!“, hörte er Angel aufgeregt sagen. „Es ist eine Liste, die du überprüfen musst. Scott denkt, dass unser Täter dabei ist. Möglicherweise eine heiße Spur!“ In diesem Moment piepte das Telefon auffällig laut – ein Hinweis, dass er die Liste gerade erhalten hatte.
„Angel, ich werde es sofort durchgehen und melde mich dann bei dir, ok?“
„Noch eins! Prüfe bitte die Querverbindungen zu den anderen Fällen: Namen, Orte, Auffälligkeiten... Alles, was uns im Computer zur Verfügung steht!“
„Ich bin schon längst dabei, meine Göttin! Meine zarten Finger huschen nur so über die Tastatur!“ Das freche Grinsen offenbarte ein Grübchen. Die Kollegen beim FBI bauten untereinander fortwährend ein wenig Menschlichkeit ein. Als einen besänftigenden Ausgleich zu ihrem harten Alltag in der widerlichen Welt der Bestien. „Wenn ich fündig geworden bin, rufe ich zurück, ok?“
„Mach das! Wir schauen uns noch etwas in der Apotheke um, bis die Spurensicherung eintrifft. Vermutlich werden sie nichts finden, aber man weiß ja nie. Bis gleich!“ Mit diesen Worten legte Angel auf, ohne die Antwort ihres Kollegen abzuwarten. Mit jeder verstrichenen Minute wurde ihnen bewusst, wie sehr sie alle unter Druck standen. Ein Stillstand in den Ermittlungen bedeutete womöglich den Tod dreier Menschen.
Pausenlos strichen die Fingerkuppen von Josh McMelma über die Tastatur, wie bei einem virtuosen Pianisten über die Klaviatur. Der Unterschied war nur, dass sie keine Geräusche, sondern Datensätze über Datensätze abriefen, die sein Gehirn in Sekundenschnelle auf Relevanz zum Fall hin untersuchte.
Die ersten zwanzig Namen ergaben absolut keinen Treffer. Scheinbar hatte sich jemand die Mühe gemacht, die Mitarbeiter nach ihrer fehlenden kriminellen Vergangenheit auszuwählen. „Reinigungspersonal“, las Josh die nächste Untergliederung der Namen. Unermüdlich gab er weitere Namen ein, in der Hoffnung, eine Querverbindung zu finden. Irgendetwas, das sie weiterbringen würde.
Was Josh McMelma fand, war jedoch wesentlich besser, als er sich je hätte träumen lassen. Aufgeregt wählte er Angels Nummer.
„Du wirst nicht glauben, was ich für dich habe, meine Süße!“, platzte es förmlich aus ihm heraus. „Leute mit ‘böser’ Vergangenheit fand ich erstmal nicht. Doch ein besonderer Name taucht dennoch auf deiner Liste auf. Ist es ein Zufall, wenn dort ein äußerst hilfreicher Zeuge vom Fall in Madison aufgetaucht ist?“
Angel schluckte. „Madison war doch...“
„Ja, das war tatsächlich der Fundort der ersten Leiche“, beendete Josh den Satz. „Und unser befragter Zeuge war vor drei Jahren ungewohnt gesprächig! Zumindest laut der Aufzeichnungen. Leider haben wir keine Informationen über seinen weiteren Aufenthaltsort. Aber mehrere Arbeitsstellen. Er braucht offenbar viel Geld. Bei einer davon bin ich mir sogar ziemlich sicher, dass sein Arbeitgeber weiß, wo er wohnt. Ich schicke es euch rüber!“
KAPITEL 20
Zum letzten Mal in seinem Leben schob Oliver Bradley den Rollstuhl in den Garten. „Das war’s! Nie wieder! Und tschüss!“, murmelte er leise. Wie immer stellte er das Fahrgestell unter den Baum, doch diesmal mit Erleichterung. Es gab nichts, was er
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