Puppenfluch
erst vor wenigen Wochen gewartet worden.Aber wenn man sich nicht so gut auskennt, denkt man leicht mal, dass es am Motor liegt, obwohl es in Wahrheit ein Fehler des Piloten ist. Tschüss!«
Und schon war sie verschwunden.
Aron blieb der Mund offen stehen.
»Sie hat es sicher nicht so gemeint«, sagte er vorsichtig, doch zu seiner Überraschung lachte sein Vater plötzlich.
Laut und polternd. Es klang nur eine Spur gekünstelt.
Siri stand an der Hausecke und sah sie wegfahren. Vater und Sohn Wiker. Sie waren sich nicht gerade ähnlich. Aron war ... ziemlich süß. Was man von Martin nun überhaupt nicht behaupten konnte! Siri wunderte sich ein bisschen über sich selbst, denn Aron entsprach eigentlich gar nicht ihrem Typ. Trotzdem hatte er etwas ... Er sah gut aus und schien erstaunlich nett zu sein.
Siri schüttelte den Kopf. Aron war immer noch Martins Sohn. Aber wer war dieser Wiker eigentlich? Was sie im Kalender gesehen hatte, war womöglich vollkommen harmlos. Was sie allerdings ganz sicher wusste, war, dass sie es nicht einfach auf sich beruhen lassen konnte. Sie durfte nicht feige sein, auch jetzt nicht. Sie musste etwas unternehmen.
Irgendetwas.
5
Als ein Lichtermeer sah Irina Kaliningrad unter sich verschwinden.
Ein Märchenland, dachte sie und drückte die Nase ans Fenster. Wie schön die nächtliche Stadt von hier oben aussah! Was für ein Unterschied, wenn man sich bei Tag dort unten bewegte. Da sah man all das Graue, Verschlissene, Kaputte, Schmutzige, Schäbige. Und dennoch war es der Ort, an dem sie geboren und aufgewachsen war.
»Alles okay?«, hörte sie die Stimme des Piloten im Kopfhörer und sie antwortete: »Yes.«
Dann starrte sie weiter auf Kaliningrad hinunter, bis es nicht mehr zu sehen war und nur noch Dunkelheit und Motorengeräusche sie umgaben. Es war ihr erster Flug. Das erste Mal, dass sie überhaupt verreiste. Plötzlich erfüllte sie ein triumphierendes Glücksgefühl. Sie, Irina, war auf dem Weg in die Ferne! Fort, in das große Abenteuer! Sie zog in die Welt hinaus! Sie würde nach Schweden gehen und dort arbeiten! Was für ein Glück, dass sie Oleg begegnet war.
Aber dann fiel ihr Bab ein und für einen Moment krampfte sich ihr Magen vor Sehnsucht zusammen.Weihnachten stand vor der Tür und in wenigen Tagen hatte Bab ihren ersten Geburtstag. Sie würde weder das eine noch das andere mit ihrer kleinen Tochter feiern. Sie hatte Oleg vorgeschlagen, erst nach Neujahr zu fliegen, aber der war sehr entschieden davon überzeugt gewesen, dass sie so bald wie möglich aufbrechen sollten.
»Weihnachten ist Hochsaison für schwedische Restaurants«, hatte er gesagt und ihre Nasenspitze geküsst. »Das ist genau die Zeit, wo überall neue Leute gesucht werden.«
Das klang natürlich einleuchtend. Und ihre Tante hatte Druck gemacht. Sie brauchten Geld, dringend.
»Ich kümmere mich um Bab«, hatte sie gesagt. »Du fahr und tu, was du tun musst. Schick uns Geld, so schnell es geht.«
Sie fuhr für Bab. Ja, und für sich selbst. Für ein besseres Leben mit mehr Geld. Endlich schien es bergauf zu gehen, endlich schien sich das Blatt zu wenden.
Sie hatte Oleg in einer Bar kennengelernt, an einem der seltenen Abende, an denen sie ausgegangen war. Als sie ihm von ihrer kleinen Tochter erzählt hatte, schien ihn das nicht weiter zu stören. Er liebte Irina. Sobald sie in Schweden alles geregelt hatten, würden sie Bab nachholen und ihrer Tante regelmäßig Geld schicken.
Oleg hatte ein eigenes Auto und ein Handy. Erwar sehr erfolgreich und verdiente sein Geld mit Exportgeschäften. Als sie ihn fragte, ob sie nicht auch für ihn arbeiten könnte, hatte er bedauernd Nein gesagt, aber sich angeboten, einen Job in Schweden für sie zu organisieren. Und jetzt war sie auf dem Weg dorthin, zu ihrer ersten richtigen Stelle als Bedienung in einem vornehmen Stockholmer Restaurant!
Oleg hatte ihr erzählt, dass einer seiner Freunde geschäftlich rüberfliegen musste und sie mitnehmen konnte. Er selbst wollte dafür sorgen, dass sie am Flugplatz abgeholt wurde.
»Ich brauche doch einen Pass, oder?«, hatte Irina gefragt, aber Oleg hatte ihr erklärt, dass das nicht nötig war. Niemand überprüfte einen, wenn man mit einem kleinen Flugzeug einreiste.
Irina fand das seltsam. Brauchte sie nicht trotzdem irgendeine Art von Legitimation?
Schließlich brachte Oleg ihr einen Pass mit. Aber es war nicht Irinas, obwohl das Mädchen auf dem Foto ihr tatsächlich ähnelte. Es war der Pass einer
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