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Puppengrab

Puppengrab

Titel: Puppengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Brady
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allein im Dunkeln saß. Zu spät fragte er sich, ob ihr wohl kalt geworden sein könnte. Ihr Gesicht war starr und bleich. Die tiefen Augenhöhlen verliehen ihr einen verstörten, ruhelosen Ausdruck.
Sie fühlt nichts,
hatte Mutter immer gesagt. Doch Chevy wusste es besser.
    »Komm, Jen«, sagte er und zog sie mit einem Arm an sich. »Jemand möchte dich sehen.«
    Mit der Pistole in der Hand trug er Jenny zu der Stelle, wo Miss Legs lag. In einer Reihe zusammenhangloser Klagen wimmerte sie noch immer ihren Namen. Er kniete sich dicht neben sie, damit sie Jenny sehen konnte. »Das ist Jenny, du Schlampe«, knurrte er durch die geschlossenen Zähne. »Sie wird dir nicht helfen.«
    Miss Legs blinzelte. Sie schluckte. Der Anblick von Jennys Gesicht raubte ihr den Atem und ließ das Weiß in ihren Augen aufglänzen. Sie schnappte nach Luft. Ein letztes verblüfftes Schnaufen, das ihre Lungen mit Luft füllte.
    Chevy jagte ihr eine Kugel in den Kopf.
    Das Geräusch des Schusses verhallte surrend in der Luft. Chevy stand da und hielt Jenny fest im Arm, während ihm das Adrenalin aus dem Körper zu strömen schien wie der Urin aus der Blase der toten Frau. Er wartete, bis die ernste, überirdische Stille, die einem Mord immer folgte, ihn in ihre kalten Arme nahm. Er hasste diesen Moment. Er war gefährlich. Ein angespannter, entscheidender Moment, in dem das Singen wiederkommen konnte.
    Er wartete. Doch nur Stille. Mutter war nicht hier. Sie kam nie, wenn er es richtig gemacht hatte.
    Chevy atmete aus und setzte Jenny ab. Dann wischte er die Beine der Frau noch ein paar Minuten lang sauber. Endlich war sie fertig.
    Jetzt das Handy.
    Er durchwühlte die Handtasche. Schminksachen, ein Kamm, ihr Geldbeutel. Seine Finger suchten tiefer nach der vertrauten Form. Nichts. Er legte die Stirn in Falten. Dann durchsuchte er die Außentasche. Doch da war es auch nicht.
    Sein Herzschlag geriet ins Stolpern. Er ließ die Handtasche auf den Boden fallen. Wie dämlich – jetzt durfte er alles haarklein einsammeln, wenn er nicht riskieren wollte, Spuren am Tatort zu hinterlassen. Doch er musste ihr Handy finden. Er musste mit Beth sprechen.
    Er durchwühlte ihre Kleidung. Fassungslos richtete er sich auf. Kein Handy. Zorn überwältigte ihn. Einen Augenblick später begann Mutter zu singen.

[home]
    12
    N eil verließ das Haus der Michaels und fand eine Bar und ein billiges Motel am anderen Ende der Stadt. Er begann früh mit dem Trinken. Er trank und versuchte nicht daran zu denken, dass er nicht nur den falschen Mann umgelegt hatte, sondern dass eine Elfjährige und ihr Vater davon gewusst hatten. Er trank weiter und versuchte nicht daran zu denken, dass er gerade die schlimmste Wunde wieder aufgerissen hatte, die Eltern davontragen konnten. Und dass er nicht einmal in der Lage war, die richtige Antwort zu finden. Er trank weiter und versuchte sich nicht vorzustellen, wie Mackenzie auf dem Rücksitz von Heathers Wagen nach ihm schrie. Und wie Heather ihn mit jeder Faser ihres Körpers hasste. Bevor seine Gedanken zu Mitch wanderten, wurde er bewusstlos.
    Am nächsten Morgen hatte er einen heftigen Kater. Doch er wusste auch, was jetzt zu tun war. Mit einer Kanne Kaffee und einer Handvoll Aspirin von einer Tankstelle verschaffte er sich Linderung. Dann besuchte er den örtlichen Polizeichef und erzählte ihm gerade einmal so viel von den aktuellen Ermittlungen, dass dieser einwilligte, einen Beamten in Sarahs Nähe abzustellen. Schließlich rief er einen Ex-Kollegen beim FBI an, der ihm vielleicht zuhören würde, auch wenn Neil nicht gerade behaupten konnte, dass sie im Guten auseinandergegangen waren. Danach setzte er sich in den Dodge und gab Gas. Er war bereit, nach Arlington zurückzukehren und alles zu tun, was nötig war, um den Dreckskerl einzulochen, der nicht Anthony Russell war. Für Gloria. Für die Russells. Für Sarah und ihre Eltern.
    Für sich.
    Doch er war nicht auf das vorbereitet, was Rick zwischenzeitlich erfahren hatte.
    Rick reichte ihm zwei Papierseiten. Die erste war der Ausdruck einer E-Mail, auf der stand: siehe Anlage. Und die zweite –
    Neil riss die Augen auf.
    »Sie haben sie in den Wäldern von Indiana gefunden. Vor ungefähr zwei Stunden.«
    In Neils Kopf herrschte Leere. Er konnte sich keinen Reim auf das Foto machen. Da lag eine Frau mit Kopfschuss, auf deren Schläfe ein Schmutzfleck oder eine Linie zu sehen war. Sie war genauso wie Lila Beckenridge drapiert worden. Ihr Unterkörper war nackt. Ihre

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