Puppenmord
»Frei - zu sein, frei zu sein.«
»Frei, um was zu sein?« fragte Eva.
»Sie selbst, Liebes«, flüsterte Sally, »Ihr geheimes Ich«, und berührte sie zärtlich da, wo Eva Wilt, wäre sie nüchtern und weniger übermütig gewesen, standhaft bestritten hätte, ein Ich zu haben. Sie waren wieder ins Haus gegangen und hatten Mittag gegessen, ein Gemisch aus noch mehr Tequila, Salat, Knacke und Hüttenkäse, was Eva, deren Freßlust fast so unstillbar war wie ihre Gier nach neuen Erfahrungen, unbefriedigend fand. Sie hatte so deutlich wie möglich darauf angespielt, aber Sally hatte über die Vorstellung von drei richtigen Mahlzeiten am Tag nur die Nase gerümpft.
»Kalorienmäßig ist es nicht gut, viel Stärke aufzunehmen«, sagte sie, »und außerdem ist nicht wichtig, wieviel man in sich reinsteckt, sondern was. Sex und Essen, Herzchen, sind so ziemlich dasselbe, öfter wenig ist besser als selten viel.« Sie hatte Eva noch einen Tequila eingegossen, darauf bestanden, daß sie ein Stück Zitrone in den Mund nähme, ehe sie ihn runterkippe, und ihr dann in das große Schlafzimmer mit dem großen Bett und dem großen Spiegel an der Decke hinaufgeholfen.
»Zeit für TT«, sagte sie und verstellte die Lamellen der Jalousie.«
»Tee-Tee«, murmelte Eva, »aber wir haben doch gerade erst Mamm-Mamm gemacht.«
»Tast-Therapie, Liebes«, sagte Sally und drückte sie sanft aufs Bett. Eva starrte zu ihrem Spiegelbild hinauf: eine große Frau, zwei große Frauen in gelben Hausanzügen auf einem großen Bett, einem großen knallroten Bett; zwei große Frauen ohne gelben Hausanzug auf einem großen knallroten Bett; vier Frauen nackt auf einem großen knallroten Bett.
»O Sally, nein Sally.«
»Liebes«, sagte Sally und erstickte Evas Proteste mundmäßig. Es war eine bestürzend neue Erfahrung gewesen, wenngleich sie sich nur zum Teil daran erinnerte. Eva war eingeschlafen, bevor die Tast-Therapie so richtig auf Touren gekommen war, und eine Stunde später aufgewacht, als Sally wieder völlig bekleidet mit einer Tasse schwarzem Kaffee am Bett stand.
»O Gott, fühl ich mich schlecht«, sagte Eva, womit sie sowohl ihren moralischen als auch ihren körperlichen Zustand meinte.
»Trink das, und du fühlst dich besser.«
Eva hatte den Kaffee getrunken und sich angezogen, während Sally erklärte, die Postkontaktverdrängungsdepression sei zu Anfang eine vollkommen natürliche Reaktion auf die Tast-Therapie.
»Du wirst sehen, nach den ersten paar Sitzungen kommt's dir ganz selbstverständlich vor. Du brichst vielleicht zusammen und heulst und schreist, aber dann fühlst du dich ungeheuer befreit und erleichtert.«
»Glaubst du? Ich weiß wirklich nicht.«
Sally hatte sie nach Hause gefahren. »Du und Henry, ihr müßt Donnerstag abend zu unserer Grillfete kommen«, sagte sie. »Mir ist vollkommen klar, daß G-Baby dich wird kennenlernen wollen. Und er wird dir gefallen. Er ist ein Busenfreund. Der schnappt über, wenn er dich sieht.«
»Ich sage dir, sie war besoffen«, sagte Wilt, als er in der Küche von Braintrees saß und Peter Braintree ihm eine Flasche Bier aufmachte. »Sie war besoffen und hatte irgend so 'n himmelschreienden gelben Pyjama an und rauchte eine Zigarette aus 'ner langen Scheiß Zigarettenspitze.«
»Und was hat sie gesagt?«
»Also, wenn du's unbedingt wissen willst, sie sagte: »Komm her . . .« Nein, das ist wirklich zu bunt. Heute war für mich in der Schule ein absolut ekelhafter Tag. Erst sagt mir Morris, daß ich meine Hauptlehrerstelle nicht bekomme.
Dann fehlt Williams schon wieder wegen Krankheit, also geht mir eine Freistunde durch die Lappen. Dann kriege ich von so einem langen Rüpel von den Druckern III eine ins Gesicht, und schließlich komme ich heim zu einer betrunkenen Frau, die mich »Penis-Baby« nennt.«
»Wie hat sie dich genannt?« fragte Peter Braintree und starrte ihn an.
»Du hast richtig gehört.«
»Eva hat dich Penis-Baby genannt? Das glaube ich nicht.«
»Na, dann geh doch rüber und hör dir an, wie sie dich nennt«, sagte Wilt bitter, »und gib mir nicht die Schuld, wenn sie an deinen Brustwarzen mundmäßig herumnuckelt, während sie's tut.«
»Mein Gott, das hat sie dir angedroht?«
»Das und noch mehr«, sagte Wilt.
»Das klingt nicht nach Eva. Wirklich nicht.«
»Es sah verdammt nochmal auch nicht nach ihr aus, das kannst du mir glauben. Sie hatte sich mit so 'nem gelben Freizeitanzug angedamt. Du hättest die Farbe mal sehen sollen. Daneben hätte
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