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Puppenmord

Titel: Puppenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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zuvor. Immer wieder stach er nach ihr, aber ohne Erfolg. Wilt ließ seinen behelfsmäßigen Dolch fallen und sann über andere Möglichkeiten nach. Langsam drehte er durch, und da wurde er sich einer neuen Gefahr bewußt. Er war nicht mehr nur das Opfer von Judys Hochdruck, sein eigener innerer Druck stieg gleichfalls an. Die Pringsheim-Bowle und der Wodka machten sich bemerkbar. Mit dem verzweifelten Gedanken, er würde platzen, wenn er sich nicht bald aus der Puppe befreite, packte Wilt Judys Kopf, bog ihn zur Seite und bohrte seine Zähne in ihren Nacken. Oder besser, hätte gebohrt, wenn ihre Atüs das zugelassen hätten. So aber prallte er ab und verbrachte die nächsten zwei Minuten damit, seinen Stiftzahn wiederzufinden, der bei dem Handel das Weite gesucht hatte.
    Als er ihn wieder an Ort und Stelle hatte, war er in Panik. Er mußte sich aus der Puppe befreien. Das mußte er einfach. Im Badezimmer gäbe es bestimmt ein Rasiermesser oder eine Schere. Aber wo in aller Welt war das Badezimmer? Ach, was sollte es! Er würde das Mistding schon finden. Vorsichtig, sehr vorsichtig rollte er die Puppe auf ihren Rücken und drehte sich mit. Dann zog er die Knie an, bis er rittlings über ihr hockte. Jetzt brauchte er nur noch etwas, woran er sich festhalten konnte, wenn er aufstand. Wilt lehnte sich nach vorn und griff mit einer Hand nach einer Stuhlkante, während er mit der anderen Judys Kopf vom Boden hochhob. Einen Augenblick später stand er auf den Füßen. Die Puppe an sich gedrückt schlurfte er zur Tür und öffnete sie. Er spähte auf den Flur hinaus. Was wäre, wenn ihn jemand sähe? Ach, zum Teufel mit ihm! Wilt machte sich nichts mehr aus dem, was die Leute über ihn denken mochten. Aber wo ging's zum Bad? Wilt wandte sich nach rechts und schlich den Flur hinunter, während er hektisch über Judys Schulter hinwegäugte.
    Eine Treppe tiefer amüsierte Eva sich köstlich. Zuerst Christopher, dann der Mann im Lendenschurz mit der Käsereklame und schließlich Dr. Scheimacher, alle hatten ihr Avancen gemacht und einen Korb bekommen. Es war alles so anders als Henrys Gleichgültigkeit. Es zeigte ihr, daß sie immer noch ihre Reize hatte. Dr. Scheimacher hatte ihr gesagt, sie sei ein interessantes Beispiel latenter Steatopygie, Christopher hatte ihren Busen zu küssen versucht, und der Mann im Lendenschurz hatte ihr das allersonderbarste Angebot gemacht. Und trotz alledem war Eva absolut tugendhaft geblieben. Ihre biedere Munterkeit, ihr Drang, mit jedem gleich tanzen zu müssen, und, was am wirkungsvollsten war, ihre Angewohnheit, laut und nicht unbedingt wohlerzogen »Nein, sind Sie entsetzlich!« zu sagen, wenn die Herren am heftigsten glühten, hatten eine ausgesprochen abschreckende Wirkung gehabt. Nun saß sie im Wohnzimmer auf dem Fußboden, während Sally, Gaskell und der mit dem Bart vom ökologischen Institut über den sexuellen Rollentausch in Gesellschaften mit Geburtenbeschränkung diskutierten. Ihr war komisch feierlich zumute. Die Parkview Avenue und Mavis Mottram und ihre Arbeit im Gemeindezentrum »Har-monie« schienen ihr von einer anderen Welt zu sein. Sie war von Leuten anerkannt worden, die so nebenbei zu Konferenzen und Intellektuellentreffs nach Kalifornien oder Tokio flogen, wie sie mit dem Bus in die Stadt fuhr. Dr. Scheimacher hatte fallen lassen, er flöge am nächsten Morgen nach Neu Delhi, und Christopher war eben von einem Fotojob aus Trinidad zurück. Vor allem war um alles, was sie taten, ein Hauch Bedeutsamkeit, ein Zauber, der Henrys Dienst an der Berufsschule völlig abging. Wenn sie ihn nur dazu bringen könnte, irgendwas Interessantes und Waghalsiges zu tun. Aber Henry war so eine Schlaf mütze. Es war ein Fehler, daß sie ihn geheiratet hatte. Ja, wirklich ein Fehler. Das einzige, was ihn interessierte, waren Bücher, aber das Leben fand nicht in Büchern statt. Wie Sally immer sagte, war das Leben zum Leben da. Leben, das hieß Leute, Erlebnisse und Vergnügen. Henry würde das nie so sehen.
    Sehen konnte Wilt im Badezimmer sehr wenig. Auf jeden Fall sah er keine Möglichkeit, sich aus der Puppe zu befreien. Sein Versuch, dem ekelhaften Ding die Kehle mit einer Rasierklinge aufzuschlitzen, war vor allem daran gescheitert, daß die fragliche Rasierklinge eine Wilkinson Patentklinge war. Nachdem es ihm mit der Rasierklinge nicht gelungen war, hatte er Shampoo als Gleitmittel probiert, aber außer daß er einen Schaum entwickelte, der selbst seinen neiderfüllten Augen so

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