Puppenmord
zurückzukehren, wo sie hergekommen war. Außerdem war er sich nicht klar, ob das nun eine Leiche war oder nicht. Es sah wie eine Leiche aus, und es benahm sich auch zweifellos wie eine, wenn auch eine enorm schwere, bloß mit den Knien war irgendwas, das die Vermutung nahelegte, das Ganze sei anatomisch nicht so, wie es sein müßte, ganz egal, was es war, was sie da ausgegraben hatten. Wo die Beine im rechten Winkel vorragten, waren sie offenbar mit einer Art Doppelscharnier befestigt, und auch viel zu dünn, und das schien darauf hinzudeuten, daß Mrs. Wilt nicht nur ihr Leben, sondern auch beide Kniescheiben eingebüßt hatte. Und diese Verstümmelung machte Barneys Arbeit auch so schwierig und über die Maßen ekelhaft. Als die Leiche zum vierten Mal wieder in das Loch gefallen war, stieg Barney selber runter, um von unten nachzuhelfen.
»Wenn ihr verdammten Schweinehunde sie fallen laßt«, schrie er aus dem Loch, »habt ihr zwei Leichen hier unten, also haltet das Seil bloß fest, scheißegal, was passiert. Ich binde es ihr um den Hals.«
Inspektor Flint guckte runter in den Schacht. »Das kommt überhaupt nicht in Frage«, schrie er, »wir wollen sie doch nicht auch noch enthaupten, wir brauchen sie in einem Stück.«
»Sie ist ja in einem verdammten Stück«, kam dumpf Barneys Antwort, »darum brauchen Sie sich nun wirklich keine Sorgen zu machen.«
»Können Sie das Seil nicht um was anderes binden?«
»Klar könnte ich das«, gestand Barney zu, »aber das mach ich nicht. Ein Bein reißt viel eher ab als der Kopf, und ich will nicht unter der stehen, wenn was runterfällt.«
»Na schön«, sagte der Inspektor, »ich hoffe nur, Sie wissen, was Sie tun, das ist alles.«
»Ich sage Ihnen eins: der Kerl, der sie hier runtergeschmissen hat, wußte ganz bestimmt, was er tat.«
Aber dieser fünfte Versuch klappte genauso wenig wie die anderen vier, und Judy landete wieder parterre, wo sie sich's schwer auf Barneys Fuß bequem machte.
»Holt bloß diesen verfluchten Kran«, schrie er, »ich halt das nicht mehr länger aus.«
»Ich auch nicht«, brummte der Inspektor, der sich immer noch nicht entscheiden konnte, was das wohl war, was er da ans Licht ziehen ließ, eine Puppe, die so zurechtgemacht war, daß sie wie Mrs. Wilt aussah, oder Mrs. Wilt, die so zurechtgemacht war, daß sie aussah wie irgendwas, das ein übergeschnappter Bildhauer vergessen hatte fertigzustellen. Die wenigen Zweifel, die er an Wilts Zurechnungsfähigkeit gehabt hätte, wurden durch das, was er im Augenblick erlebte, in alle Winde zerstreut. Jeder Mensch, der wie Wilt so entsetzlich weit gehen konnte, ganz gleich, ob seine Frau oder eine Plastikpuppe mit Vagina so grauenerregend zu verstümmeln und zu beseitigen, der mußte wahnsinnig sein.
Sergeant Yates sprach seine Gedanken aus. »Jetzt wollen
Sie mir doch wohl nicht mehr erzählen, daß der Mistkerl nicht verrückt ist«, sagte er, als der Kran herangefahren und das Seil runtergelassen und an Judys Hals festgemacht war. »In Ordnung, zieht sie jetzt hoch«, schrie Barney.
Im Speisesaal schmeckte nur Dr. Board das Essen. Den acht Mitgliedern des RNWE-Komitees überhaupt nicht. Ihre Augen klebten an dem Schauspiel vor den Fenstern.
»Man darf wohl sagen, sie befand sich in Statue pupillari«, sagte Dr. Board und griff nochmal nach den Zitronenbaisers, »womit wir uns in loco parentis befinden. Kein angenehmer Gedanke, meine Herren. Nicht, daß sie je eine sehr gescheite Schülerin gewesen wäre. Ich hatte sie einmal in einem Abendkursus in französischer Literatur. Ich weiß nicht, was sie aus den »Fleurs du Mal« herauslas, aber ich erinnere mich, daß ich dachte, Baudelaire sei. . .«
»Dr. Board«, sagte Dr. Mayfield betrunken, »für einen sogenannten gebildeten Menschen sind Sie absolut gefühllos.«
»Was ich mit der toten Mrs. Wilt gemeinsam habe, wie man deutlich sehen kann«, sagte Dr. Board und warf einen raschen Blick aus dem Fenster, »und während wir noch davon reden, scheint die Sache sich zuzuspitzen. Ja, tatsächlich.«
Sogar Dr. Cox, der vor kurzem das Bewußtsein wiedererlangt hatte und zu einem bißchen Hammelfleisch überredet worden war, sah zum Fenster hinaus. Als der Kran Judy langsam ans Licht der Welt hievte, standen der Schulausschuß und das Komitee von ihren Stühlen auf und drängten zum Fenster. Es war ein unschöner Anblick. In der Schachtöffnung hatte sich Judys linkes Bein in einem Spalt verfangen, während sich ihr ausgestreckter Arm
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