Puppenmord
sah weit bis da rüber aus, und kein Boot war zu sehen. Sie würde eben rüberschwimmen müssen und hoffen, daß die Frau, die dort wohnte, mitfühlend und, besser noch, groß genug sei, um ihr ein paar Sachen zu leihen, bis sie nach Hause käme. Da entdeckte Eva, daß sie ihre Handtasche irgendwo im Schilf verloren hatte. Sie erinnerte sich, daß sie sie in der Nacht bei sich gehabt hatte, aber sie mußte von der Luftmatratze gefallen sein, als sie sie aufblies. Na ja, sie konnte jetzt ja nicht zurückgehen und sie suchen. Sie würde halt ohne sie weiterkommen müssen und Henry anrufen und ihm sagen, daß er mit dem Auto rauskommen und sie abholen solle. Er könnte auch was zum Anziehen mitbringen. Ja, so ginge es. Eva Wilt kletterte auf die Luftmatratze und paddelte langsam hinüber. Auf halbem Weg ging die Luftmatratze zum elften Mal unter. Eva ließ sie sausen, und strampelte in der Schwimmweste weiter. Aber auch die hinderte sie am Vorwärtskommen, und so beschloß sie, sich von ihr zu trennen. Wassertretend versuchte sie, sie aufzuhaken, und nach einem furchtbaren Gewühl schaffte sie es endlich, sie auszuziehen. Dabei ging der Rest des gelben Hosenanzuges baden, so daß, als Eva Wilt das Ufer erreichte, sie nicht nur fix und fertig, sondern auch pudelnackt war. Sie kroch in den Schutz eines Weidenbaums und lag nach Luft schnappend auf der Erde. Als sie sich erholt hatte, stand sie auf und sah sich um. Sie befand sich am hinteren Ende des Gartens und das Haus lag etwa hundert Meter entfernt auf dem Hügel. Nach Evas Maßstäben war es ein sehr großes Haus und dazu eins, in dem sie sich nie und nimmer wohlfühlen würde. Erstens sah es so aus, als habe es auf der Rückseite einen Hof und Ställe, und für Eva, deren Kenntnis großer Landhäuser sich auf das beschränkte, was sie im Fernsehen gesehen hatte, verband sich damit die Vorstellung von Knechten und Mägden, von Vornehmheit und gesellschaftlicher Förmlichkeit, was ihr Auftauchen in voller Nacktheit sicher ziemlich peinlich machte. Andererseits sah alles ausgesprochen heruntergekommen aus. Der Garten war verwuchert und ungepflegt; Ziersträucher, die wohl mal so geschnitten waren, daß sie wie Vögel oder andere Tiere aussahen, hatten sich wieder in merkwürdige und ein bißchen unheimliche Formen zurückverwandelt, verrostete Faßreifen lehnten halb versteckt im hohen Gras eines nicht gemähten Krocket-Rasens, ein Tennisnetz hing lose zwischen den Pfosten, und ein leeres Gewächshaus tat sich mit ein paar bemoosten Fensterscheiben groß. Schließlich waren noch ein verfallenes Bootshaus und ein Ruderboot zu sehen. Alles in allem machte das Anwesen einen düsteren und ehrwürdigen Eindruck, der durch eine kleine, zwischen den Bäumen versteckte Kirche zur Linken und einen verwahrlosten Friedhof hinter einem alten Eisenzaun nicht gerade gemildert wurde. Eva guckte unter der Trauerweide hervor und wollte gerade ihren Unterschlupf verlassen, als die Verandatür aufging und ein Mann mit einem Fernglas auf die Terrasse trat, durch das er in Richtung Aalfleet sah. Er trug eine schwarze Soutane mit steifem Kragenbündchen. Eva versteckte sich wieder hinter dem Baum und dachte über ihre schreckliche Lage und die nichtvorhandenen Kleider nach. Das war ja alles ungeheuer peinlich. Nichts in der Welt brächte sie dazu, ohne was auf dem Leib zu dem Haus, einem Pfarrhaus, hinaufzugehen. Die Parkview Avenue hatte sie auf solche Situationen nicht vorbereitet.
Der Rossiter Grove hatte Gaskell nicht auf die Situation vorbereitet, der er sich gegenübersah, als Sally ihn mit »Nöah-Baby, oberdeckmäßig ist alles klar, wird Zeit, daß wir uns verkrümeln«, weckte.
Er öffnete die Kajütentür und ging raus, wo er feststellte, daß Eva schon auf und davon war und die Luftmatratze und
die Schwimmwesten mitgenommen hatte. »Hast du sie etwa die ganze Nacht draußengelassen ?«fragte er. »Na, jetzt sitzen wir nicht nur im Aalfleet, sondern wirklich in der Kackelache. Kein Paddel, keine Luftmatratze, keine Schwimmwesten, kein gar nichts.«
»Ich habe ja nicht gewußt, daß sie so was Verrücktes machen und alles mitnehmen würde«, sagte Sally.
»Du läßt sie die ganze Nacht draußen im strömenden Regen, da mußte sie doch irgendwas machen. Inzwischen ist sie wahrscheinlich schon erfroren. Oder ertrunken.«
»Sie hat versucht, mich umzubringen. Glaubst du etwa, da würde ich sie reinlassen, wenn sie sowas versucht? Sowieso ist alles deine Schuld, weil du dir ja
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