Puppenrache
trocken und schob sie in seine Hosentasche. Selten ekelte ihn etwas. Aber diese feuchten Scheine schon. Die würde er zuerst loswerden.
Der Schweiß tropfte ihm von der Stirn, merkte er jetzt. In wenigen Stunden wären die ersten Scheißfliegen da. Ihm fiel die Garage ein. Dort in der Tiefkühltruhe hortete sie Essen wie für einen Atombombenangriff. Die Truhe war groß. Ziemlich groß.
Wie viele Stunden war sie schon von Sydney entfernt? Mussten sie nicht schon Melbourne hinter sich haben? Aber das hätte sie gemerkt. Melbourne war ja eine riesige Stadt, an der fuhr man nicht einfach so vorbei. Ich war noch nie in Melbourne, dachte sie und dann fiel ihr auch wieder ein, dass sie ja in Melbourne erwartet wurde. Der Bus fuhr langsamer und steuerte dann in eine Tankstelle. Zwanzig Minuten Aufenthalt, kündigte der Fahrer an.
Sie drängelte sich an den Sitzreihen vorbei, wollte unter den Ersten draußen sein, um nicht am Klo anstehen zu müssen. Das Neonlicht in der Toilette war grell und ihre Augen brannten. Zu spät. Sie musste warten, alle drei Kabinen waren besetzt. Der verspiegelte Raum machte sie nervös. Von allen Wänden blickte sie sich selbst entgegen. In ihrer Wohnung hatte sie im Bad nur einen kleinen Spiegel zum Schminken. Dabei konzentrierte sie sich auf Einzelheiten. Auf die Augen, auf die Nase, auf die Wangen, auf den Mund. Wie hätte sie Stephen erklären sollen, dass sie Angst vor diesem fremden Gesicht hatte? Das verstand nur ihre Mutter. Die Spülung rauschte und die Tür einer Kabine ging auf. Sie schlüpfte hinein, ohne der Frau ins Gesicht zu sehen.
Sie verschloss die Tür. Und da war sie wieder, die Panik in engen Räumen. Je schneller sie wieder draußen war, umso besser. Die beiden Kabinen rechts und links waren besetzt. Sie sah die Schuhe von Frauen. Wirklich? Waren das auch ganz sicher Frauenfüße? Sie beeilte sich beim Pinkeln, zog sich hastig wieder an. Plötzlich war sie sicher, dass die Schuhe in der linken Kabine von einem Mann waren. Er lauerte ihr auf… Ihr Blick wanderte nach oben. Er könnte über die Zwischenwand klettern, die ging nicht bis zur Decke…
Panik kroch in ihr hoch, sie fummelte am Türschloss, sie musste raus, was war bloß mit dem Schloss los? Es hakte! Sie rüttelte am Riegel und dann, endlich – sie schnappte nach Luft und stand wieder im Vorraum. Im selben Moment ging die linke Tür auf. Saras Muskeln spannten sich an, sie war bereit zur Flucht. Doch es kam nur ein Mädchen heraus, das ihr zulächelte. Trotzdem konnte Sara keinen klaren Gedanken mehr fassen und rannte raus. Erst dann fiel ihr ein, dass sie noch nicht mal die Hände gewaschen hatte.
Beruhige dich, ermahnte sie sich selbst. Sie atmete ein paar Mal tief ein und aus, dann ging sie zurück und wusch sich auch das Gesicht. Wenn sie sich nicht waschen konnte, fühlte sie sich schnell schmutzig. Sie zog zwei Papiertücher aus dem Spender.
»Hallo«, sagte das Mädchen, das neben ihr am Waschbecken seine langen lockigen Haare bürstete. »Hab ich dich vorhin erschreckt?«
»Nein, nein…«, sagte Sara schnell und trocknete ihr Gesicht mit den Papiertüchern ab.
»Du fährst auch mit dem Bus, oder?«, fragte das Mädchen weiter und zog sich nun die Lippen nach.
»Ja«, sagte Sara.
»Ganz schön lang und öde so ’ne Fahrt. Fährst du weiter?«
Sara nickte. Sie sollte jetzt hier raus, bevor sie anfangen müsste zu lügen.
Über das Gesicht des Mädchens zog ein Lächeln. »Ich auch. Ich heiße Gwen.«
»Sara.«
»Und wohin willst du, Sara?« Gwen steckte den Lippenstift wieder in die kleine Umhängetasche aus besticktem Stoff.
»Weiß noch nicht.« Schon meldete sich wieder die Panik. Und wenn das Mädchen sie nur aushorchen wollte…
Gwen legte den Kopf schief und grinste. »Als ich dreizehn war, bin ich von zu Hause abgehauen. Mann, ich hab gedacht, alle sind nur hinter mir her und wollen mich zurückbringen. Was für ein Quatsch!« Gwen lachte leise.
Ich bin nicht von zu Hause abgehauen, wollte Sara protestieren, doch irgendwie stimmte es ja – falls sie ihre letzte Station in Sidney als Zuhause bezeichnen wollte.
»Wenn du willst, kannst du dich neben mich setzen, da ist frei«, sagte Gwen an der Tür. »Da können wir bisschen quatschen.«
»Danke«, sagte Sara. Gwen ging und Sara knüllte die feuchten Papiertücher ganz fest in ihrer Faust zusammen.
Er hatte eine ganze Menge Tiefkühlkost in die Mülltonne werfen müssen. Jetzt ging er ins Haus zurück, um weiterzusuchen. Es
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