Puppenrache
Pünktlich um eins war sie im Supermarkt gewesen.
Es war mehr als nur Erleichterung und Freude. Es war… der Anfang eines neuen Lebens! Letzte Nacht hatte sie kaum geschlafen. Jetzt hab ich endlich wieder eine Aufgabe, dachte sie. Ich werde so viel wie möglich sparen, und wenn ich genug zusammenhabe, suche ich mir irgendwo eine eigene Wohnung in einem Haus, in dem nicht permanent dieser Geruch in der Luft hängt. Tim darf ich allerdings erst mal nichts sagen – doch die ganze Geheimnistuerei würde sowieso bald ein Ende haben, wenn sie ihn erst zurück ins Gefängnis gebracht hätten.
Sie bekam einen orangefarbenen Kittel und die dritte in der Reihe der acht Kassen zugeteilt. Die Kollegen rechts und links von ihr lächelten sie an und sie lächelte, so gut es ging, zurück. Auf Anhieb fand sie sich zurecht. Es tat ihr gut, wieder zu arbeiten. Wieder dieselben automatisierten Handgriffe zu verrichten. Wieder beschäftigt zu sein. Wieder vergessen zu können.
Stunde um Stunde verging und plötzlich war es Abend. Und dunkel. »Gute Arbeit, Sara«, lobte sie der Abteilungsleiter, ein Kleiner mit dickem Bauch und rosigem Gesicht. »Bis morgen dann.«
Sie zog ihren Kittel aus, hängte ihn in dem winzigen Aufenthaltsraum an den Haken, den man ihr zuwies, zog ihre Jacke an, schulterte ihre Tasche, nickte den Kollegen zu und verließ ihren neuen Arbeitsplatz durch die Hintertür, die der Abteilungsleiter für jeden extra aufschloss. Zwei Kolleginnen hatten sie eben noch in ein Gespräch verwickeln wollen. Die beiden wirkten sehr nett, aber Sara musste sich erst noch überlegen, was sie ihnen erzählen würde, wenn sie nach ihrem Leben fragten.
Sara sah sich kurz um, dann überquerte sie den Supermarktparkplatz, um sich auf den Weg nach Hause zu machen.
Das schwarz-gelbe Absperrband kannte Stephen nur aus Fernsehkrimis. In Wirklichkeit hatte er noch keins gesehen. Die Sirenen der beiden Polizeiwagen, die schräg auf dem Bürgersteig parkten, hatte er vom Apartment aus gehört. Ein Unfall, hatte er gedacht. Doch als er jetzt die Straße überquerte und sich durch die Menschengruppe drängelte, weil er zu seinem VW-Bus wollte, ahnte er, dass es sich nicht um einen Unfall, zumindest nicht um einen gewöhnlichen, handelte. Zwei Gestalten in weißen Overalls machten sich an einem geparkten dunkelroten Holden zu schaffen, mehrere Polizisten standen um den Wagen herum. Vielleicht ein gestohlener Wagen, dachte Stephen, oder ein Auto, das in einen Unfall verwickelt war und dessen Fahrer Fahrerflucht begangen hatte?
»Ich muss zu meinem Auto«, erklärte er dem Polizisten an der Absperrung.
»Welches Auto?«
»Der grüne VW-Bus, dahinten.« Er zeigte auf seinen Wagen.
»Ihre Papiere bitte.«
»Die hab ich im Auto.«
Der Polizist sah ihn misstrauisch an.
»Wenn Sie mir nicht glauben, dann lassen Sie mich zu meinem Auto, dort zeige ich sie Ihnen.«
»Tut mir leid, Sir, ist zur Zeit nicht möglich.«
»Was?«
»Dass Sie zu ihrem Wagen gehen.«
»Sagen Sie das meinem Chef?«
Der Polizist überhörte die Frage.
»Was ist denn passiert?«, wollte Stephen wissen. Doch der Polizist gab sich taub und drehte sich weg.
»Soweit ich gehört hab«, raunte ihm ein Mann zu, der neben ihm stand, »ist das Auto gestohlen. Der Dieb hat da drin wohl ein Mädchen… vergewaltigt.«
Stephen schnürte es die Luft ab.
Der Mann hatte einen Hund an der Leine, der laut winselte und unter der Absperrung hindurchzog. »Ziemlich brutale Geschichte wohl«, sprach der Mann weiter. »Sie soll erst sechzehn gewesen sein.«
»Sechzehn?« Ihm wurde flau.
Der Mann nickte. »Sechzehn.«
»He«, rief er dem Polizisten zu, »Officer! Ich muss mit jemandem reden!«
»Das müssen wir alle, oder?«, bemerkte der Mann neben ihm, doch Stephen reagierte nicht.
»Sir?« Der Polizist wandte sich ihm wieder zu. »Hören Sie, ich muss unbedingt mit dem zuständigen Detective…«
Der Polizist musterte ihn. »Haben Sie sachdienliche Hinweise?«
»Vielleicht! Bitte!« Nein, hoffentlich nicht! Hoffentlich hatte das nichts mit Sara zu tun…! Stephen drängte mit aller Macht die Vorstellung beiseite, dass sie vielleicht gar nicht weit gekommen war, nachdem sie die Wohnung verlassen hatte. Was, wenn der Typ sie aufgegabelt…
»Vielleicht?«, blaffte der Polizist.
»Officer!«
Der Polizist nickte schließlich und hob das Absperrband. Stephens Herz klopfte in einem unregelmäßigen Rhythmus, als er über den Parkplatz ging.
Sara hatte vergessen, wie
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