Puppenrache
auf!«
»Ja, das haben wir uns auch vorgenommen, aber irgendwann sieht man ein, dass es keinen Ausweg gibt…«
In Stephen kochte die Wut hoch. »Ich bin jedenfalls noch nicht so weit. Ich gebe Sara nicht einfach so auf!«
»Ach, Stephen! Wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie zugeben, dass Sie wütend auf Sara sind, weil sie sich Ihnen nicht anvertraut hat. Sie hat Sie belogen! Die ganze Zeit! Da wäre jeder wütend!« Ihre Augen waren schmal wie die einer Katze geworden. Solche Augen hatte Sara auch manchmal gehabt.
»Auf dem Parkplatz vor unserem Haus wurde das Auto gefunden, das er gestohlen und in dem er ein Mädchen vergewaltigt hat. Er wollte sie töten«, sagte er sachlich. »Hat er das auch mit Sara gemacht? Oder sollte ich besser sagen mit Pat?« Stephen war über seinen sarkastisch-berechnenden Tonfall erschrocken, doch diese Frau hatte ihren Finger genau in seine Wunde gelegt.
Nora Cummings’ Mundwinkel zuckten. Ihr Blick ging in die Ferne.
»Mrs Cummings! Sagen Sie mir die Wahrheit! Ich muss endlich wissen, was passiert ist!«
Allmählich kehrte ihr Blick zurück. »Sind Sie wirklich sicher? Noch können Sie einfach hier zur Tür hinausspazieren und ihr Leben leben, ohne – diese Belastung. Gehen Sie zurück zu Ihren Freunden, lernen Sie ein anderes Mädchen kennen, eines mit einer einfacheren Geschichte. Und genießen Sie Ihre Jugend, Ihre Unbeschwertheit…«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich will Sara. Oder Patricia. Es liegt mir nichts an einer unbeschwerten Jugend.«
Sie lächelte traurig. »Sie wissen nicht, was Sie aufgeben, Stephen! Sie werfen Ihre Unbeschwertheit so leichtfertig weg.« Ihr Ausdruck wurde hart. »Er hat ihr ihre Jugend genommen.«
Er wartete.
»Gut«, sagte sie schließlich. »Ich habe Sie gewarnt.« Sie erhob sich, ging zur Tür und hängte ein Schild von außen an die Türklinke, auf dem »Bitte nicht stören« stand. Anschließend ging sie zum Fenster und sah hinaus. Dann begann sie zu erzählen.
»Es war ein schöner Frühlingstag. Ein perfekter Tag. Blauer Himmel, nicht zu heiß, ein leichter Wind vom Meer. Wir wohnten in einem kleinen, aber schönen Haus mit netten Nachbarn, in einer ruhigen Straße. Patricia und ich. Patricias Dad und ich waren geschieden. Patricia hatte ein paar Tage Ferien und verbrachte den Tag mit ihrer Freundin Amber bei ihr zu Hause. Ich machte mir keine Sorgen, weil Ambers Mutter sehr zuverlässig war und den Mädchen nicht alles erlaubte. Manchmal brachte sie Patricia auch nach Hause, aber wenn nicht, nahm Patricia den Bus. Die Haltestelle war etwa zehn Minuten von Ambers Haus entfernt.
Wir hatten ausgemacht, dass Patricia den Bus um zwanzig nach fünf nehmen würde, dann wäre sie um sechs Uhr daheim. Um sieben Uhr wollten wir zu Abend essen.
Ich arbeitete halbtags bis vier bei einem Steuerberater, auch an diesem Tag. Als ich aus dem Büro kam, hatte sich der Himmel zugezogen, ganz plötzlich. Ich hatte es gar nicht bemerkt. Jedenfalls hingen dunkle Wolken am Himmel. Hoffentlich kommt Pat nicht in den Regen, dachte ich noch auf dem Heimweg. Zu Hause hatte ich noch zu bügeln. Inzwischen schüttete es. Aber es war ein warmer Regen und ich wollte auch nicht Ambers Mutter anrufen und fragen, ob sie Patricia fahren könnte.
Kurz vor sechs hörte ich auf, räumte die Wäsche in die Schränke und sah schon mal aus dem Fenster. Von dort konnte man auf die Straße sehen, durch die der Bus fuhr. Die Haltestelle befand sich etwa dreihundert Meter weit weg.
Der Regen war nicht mehr so stark, es nieselte jetzt nur noch. Ich warf den Müll in die Tonne vor dem Haus und sah die Straße hinunter. Es war kurz vor sechs und der Bus fuhr vorbei. Er ist wohl ein bisschen früher als sonst oder es ist der vorherige mit großer Verspätung, dachte ich und wartete noch, aber als ich Patricia nicht kommen sah, ging ich wieder hinein. Ich rief sie auf dem Handy an, aber sie ging nicht dran.
In diesem Moment dachte ich zum ersten Mal, dass etwas passiert sein könnte. Ich versuchte es noch einmal, doch da war es dann ausgeschaltet. Vielleicht trifft sie sich heimlich mit einem Jungen, hab ich mir gesagt.« Die Frau lachte kurz bitter auf und verstummte dann, als müsse sie sich erst wieder sammeln.
Stephen saß unbeweglich auf dem Stuhl und ließ Nora Cummings keine Sekunde aus den Augen. Ein Teil von ihm wollte fliehen, hinausrennen, weit, weit weg, wo ihn nichts mehr an Sara erinnern würde. Der andere Teil von ihm wollte endlich die Wahrheit wissen,
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